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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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der Weisung: wenn ich zweimal im Schloß gedreht, müßt ich mit aller Kraft gegen die Tür stoßen, weil sie verquollen sei und schwer aufginge.
    Um bis an die Kirche zu kommen, waren noch zwei lange Kreuzgänge zu passieren. Gerade hier hatte tags zuvor ein erbitterter Infanteriekampf (der unsererseits durch das Schweizerregiment geführt worden war) stattgefunden, und alles trug noch die Spuren dieses Kampfes: die Leichen waren zwar weggeschafft, aber die Blutlachen geblieben; die Standbilder, von den Wänden herabgerissen, lagen zertrümmert am Boden; selbst die Luft war dumpf und modrig. An diesen Bildern der Zerstörung vorbei ging ich auf die Kirche zu, steckte den Schlüssel hinein, drehte zweimal, stieß die Türe auf, die sich langsam und dröhnend öffnete. Ich legte meinen Mantel ab, der mir jetzt nur hinderlich sein konnte, nahm den Degen in die eine, die Laterne in die andere Hand und schickte mich an, das hochüberwölbte Mittelschiff hinaufzuschreiten. Eine unheimliche Stille herrschte, und der Widerhall meiner Schritte erschreckte mich.
    So kam ich bis an den Altar. Da stand der Sarg, vorläufig mit einem Brett nur überdeckt. Ich hob es auf, und meines Bruders gläserne Augen starrten mich an. Ich stellte, da kein anderer Platz war, die Laterne zu seinen Füßen und begann langsam Knopf um Knopf den Uniformrock zu öffnen, der sich fest und beinahe eng um seine Brust legte. Ich tat es mit abgewandtem Gesicht; aber wie ich auch vermeiden mochte, nach ihm hinzusehen, ich hatte doch sein Todesantlitz vor mir. Endlich fand ich das Papier und steckte es zu mir. Dann kam das Schwerste: ich mußte die Knöpfe wieder einknöpfen, da ich es nicht über mich gewinnen konnte, ihn in offener Uniform wie einen Beraubten liegenzulassen. Und als auch das geschehen, trat ich den Rückweg an.
    Am andern Nachmittage, der Feind griff uns nicht an, wurde mein Bruder mit allen militärischen Ehren durch das Schweizerregiment Wimpfen in derselben Klosterkirche zu Plaa, in der er vierundzwanzig Stunden vor dem Altar gestanden hatte, begraben. An eben derselben Stelle wurden sein Säbel, seine Handschuhe und Sporen aufgehängt und erst einige Monate später, auf Befehl des Generals O'Donnell, der den Toten dadurch ehren wollte, in die Kathedrale von Tarragona gebracht. Dort befinden sie sich noch.
     
    Der Vortragende, als er bis hierher gelesen, rollte das Manuskript zusammen und legte es auf eines der Fensterbretter: die Zuhörer, gesenkten Blickes, schwiegen. Der erste, der sich erhob, war Bninski.
    »Ich bin selbst Gast in diesem Kreise und fürchte beinahe, mich eines Übergriffes schuldig zu machen, wenn ich vor Berufeneren das Wort ergreife. Aber meine Stellung, was mich entschuldigen mag, ist eine ausnahmsweise. Ich habe zwei Jahre vor Ihnen, Herr von Hirschfeldt, auf denselben Feldern, wenn auch auf der Ihnen feindlichen Seite, gekämpft; ich kenne die Plätze, von denen Sie uns gelesen: kaum verschwundene Bilder sind mir wieder lebendig geworden. Was Freund, was Feind! An gleicher Stelle die gleiche Gefahr. Ich bitte, Sie daraufhin als einen mir teuer gewordenen Kameraden begrüßen zu dürfen.«
    Während dieser Worte hatte Jürgaß die ihm zunächststehende Rheinweinflasche entkorkt und mit einer der Situation angepaßten Raschheit den großen silbernen Kastaliabecher bis an den Rand gefüllt. »Meine Herren, einer jener Ausnahmefälle, wie sie Paragraph sieben unseres Statuts, ich nehme nicht Anstand zu sagen, in seiner Weisheit voraussieht, ist eingetreten. Und so trink ich denn auf das Wohl unseres verehrten Gastes Rittmeisters von Hirschfeldt. Er lebe! Viele Ehren haben sich auf seinem Scheitel gehäuft, so viele Ehren wie Wunden; aber eines blieb ihm bis diesen Tag versagt: er hatte noch nicht aus dem Silberbecher der Kastalia getrunken. Auch diese Stunde ist da. Ich trink ihm zu, und er tue mir Bescheid.«

    Und bei wiederholten Hochs kreiste der Becher.
    Nach Huldigungen wie diese konnte es Lewin nur noch obliegen, ein Schlußwort zu finden. »Die vorgeschrittene Stunde«, so begann er, »mehr noch das gehobene Gefühl, das uns dieselbe gebracht hat, dringen auf Abbruch und Vertagung. Ich erwarte Ihre Zustimmung.« (»Ja, ja!«) »Unsere nächste Sitzung soll, so sich kein Widerspruch erhebt« (»Nein, nein!«), »unter Zurückstellung aller bis dahin etwa eingehenden Lyrika, durch die Tagebuchblätter unseres verehrten Gastes, des Herrn von Meerheimb, die heute zu unserm Bedauern nicht mehr zum Vortrag

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