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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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den Chausseesteinen sitzen sehen. Die junge Frau (sehr hübsch) war heute vormittag bei mir und hat mir von der Begegnung erzählt. Sie habe sich vor ihm wie vor einer Erscheinung erschrocken. Dann sei er aufgesprungen und ihrem Wagen zwischen den Pappeln hin eine lange Strecke gefolgt. So wenigstens habe sie zu sehen geglaubt; sicher sei sie nicht. Du siehst, alles ist dunkel und rätselvoll. Die junge Frau, die wohl eine halbe Stunde hier war, überraschte mich durch eine Ähnlichkeit mit Kathinka, selbst in ihrer Art, sich zu kleiden. So trug sie, um nur eines zu nennen, eine polnische, mit weißem Pelz besetzte Mütze.
    Ach, Marie, wie hat sich alles um uns her geändert! Ich sehne mich jetzt nach den stillen Hohen-Vietzer Tagen zurück, die ich so oft verklagt habe. Von allen Seiten drängt es heran, und ich erkenne, wie mein Herz zu schwach und zu klein ist, allem, was geschieht, sein zuständig Teil zu geben. In ruhigen Zeiten hätte mich der plötzliche Tod der Tante betrübt oder doch beschäftigt, jetzt vergehen Stunden, ohne daß ich daran denke. Nur an Dich denke ich viel, immer.
    Ich erwarte noch heut ein paar Zeilen aus Guse; Papa hat sie mir zugesagt. Das Begräbnis der Tante vermute ich morgen; ihm beizuwohnen, daran ist nicht zu denken; ich kann hier nicht eher fort, als bis wir Lewin außer Gefahr wissen. Und ehe nicht der alte Leist... Aber da hör ich seine Stimme laut und eindringlich auf der Treppe. Alles wispert im Hause, selbst die Knechte, die kommen, werden zur Ruhe bedeutet und fügen sich dem Zwang; nur alte Doktoren haben in ihrem Sprechen und Auftreten das Vorrecht der Zwanglosigkeit, und der alte Leist macht keine Ausnahme. Ich schließe vorläufig und will nur hören, was er sagt.«
    Renate schob das Blatt unter das Schreibnecessaire und traf den Doktor bereits am Bette drüben. Er sah mit seinen zwei Pelzhandschuhen, die an einer dicken Schnur rechts und links über den Mantelkragen hingen, abenteuerlich genug aus und grüßte mit der einen freien Hand, während er mit der andern den Puls des Kranken zählte. Er schien zufrieden, befühlte noch Stirn und Schläfe und sagte dann: »Lassen wir ihn allein; er braucht uns nicht.« Damit verließen alle drei den ruhig Weiterschlafenden und gingen in die Frauenstube hinüber, wo nun der Alte seinen Mantel ablegte, während Renate über alles Kleine und Große, was die Auffindung Lewins begleitet hatte, in ähnlicher Weise wie in ihrem Briefe an Marie zu berichten begann.
    »Sehr gut, sehr gut«, unterbrach sie der offenbar ziemlich unaufmerksame Doktor und fuhr dann, nachdem er auf einem Binsenstuhl Platz genommen und sich die breiten, braunfleckigen Hände behaglich gerieben hatte, in vertraulichem Tone fort:
    »Und nun, mein Renatchen, ehe wir weiterplaudern, bitt ich um einen Kaffee, das heißt, mit Permission, um einen Cognac-Kaffee. Den Milchkaffee habe ich abgeschworen. Das ist nichts für einen alten Doktor mit Landpraxis.«
    Tante Schorlemmer ging, um das Gewünschte herbeizuschaffen; der alte Leist aber, der, wie alle Doktoren, auch wenn sie nicht beim Feldscher begonnen haben, gerne sprach und Anekdoten erzählte, um das ewige Einerlei der Krankengeschichten loszuwerden, wiederholte, als die Schorlemmer hinaus war, seine letzten Worte und setzte dann erklärend hinzu: »Sehen Sie, mein Renatchen, mit dem milchernen ist es nichts. Ich meine den Kaffee. Sonst laß ich auf das Milcherne nichts kommen, denn es ist die höhere Stufe. Aber was ich sagen wollte. Sehen Sie, dies Franzosenvolk ist sonst nicht mein Gustus, und ihre Guillotinenwirtschaft, was sie damals ›La Terreur‹ oder, wie wir sagen, den Schrecken oder den Terrorismus genannt haben, das kann ich ihnen nicht vergessen; aber, der Wahrheit die Ehre, mit dem Cognac-Kaffee, da haben sie's getroffen. Es gibt so Sachen, worin sie uns überlegen sind.«
    Renate rückte ungeduldig hin und her; der alte Leist indessen schien es nicht zu bemerken und fuhr fort:
    »Und es ist eigentlich nicht mehr und nicht weniger als meine Pflicht und Schuldigkeit, daß ich mich ehrlich dazu bekenne. Denn ohne diesen Cognac-Kaffee wär ich nicht mehr am Leben und säße nicht in diesem hübschen Bohlsdorfer Krug. Sie haben von Anno 93 gehört, oder Quatre-vingt-treize, wie die Franzosen sagen. Sie lieben alles, was einen Schnepper hat und so ins Ohr klingt, als ob es was Apartes wäre. Und sehen Sie, damals hatten wir ja den Champagnefeldzug, und ich war auch mit, mitsamt meiner

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