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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Kapitel
     
Eine Begegnung
    Die Sonne des nächsten Vormittags schien hell auf die Bohlsdorfer Dächer. Renate war bei der Amtmannsfrau gewesen, um ihr einen Gegenbesuch zu machen, und kam eben von dem Gutshofe zurück, als sie ein herrschaftliches Fuhrwerk vor dem Kruge halten sah. Der Herr, dem es gehörte, ging inmitten der Dorfgasse auf und ab. Er war von hoher Gestalt, trug Pelzrock und Pelzstiefel und sah von Zeit zu Zeit nach dem Kirchturm hinauf, dessen grotesk geformte Schneehaube seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen schien. Im Näherkommen erkannte Renate den alten Geheimrat.
    »Onkel Ladalinski!« rief sie und eilte ihm entgegen.
    Der Geheimrat war ersichtlich befangen, und eine kurze Pause folgte den ersten Begrüßungsworten, bis Renate fragte: »Du bist auf dem Wege nach Guse?«
    »Ja, liebe Renate; zum Begräbnis der Tante. Aber was führt
dich
in dieses Dorf? Ich erwartete, dich in Guse zu sehen, dich und Lewin und den Papa.«
    »Du wirst nur den Papa in Guse treffen; Lewin ist hier.«
    »Lewin ist hier?«
    »Ja, krank und bewußtlos; nun schon den vierten Tag. Die Leute schickten uns einen Boten. Es war denselben Morgen, wo die Nachricht von dem Tode der Tante kam. Papa fuhr nach Guse, ich nach hier. Die Schorlemmer begleitete mich, und wir fanden Lewin, wie wir nach allem, was uns der Bote gesagt hatte, erwarten mußten. Er lag in tiefem Schlaf. Alles ist in Dunkel, und wir raten hin und her, was ihn in naßkalter Nacht von Berlin fort und hierher geführt haben mag. Ein Knecht fand ihn wie tot neben den Chausseesteinen.«
    Der Geheimrat schwieg eine Weile; dann nahm er Renatens Arm und sagte: »So weißt du von nichts? Ach, Kind, welche Tage haben wir durchlebt! Kathinka ist fort, und wir werden sie nicht wiedersehen.«
    Das
also war es. Renate sah nun klar, schien aber weniger überrascht, als der Geheimrat bei seinen letzten Worten erwartet haben mochte.
    »Kann ich Lewin sehen?« fragte dieser.
    »Ja; er liegt oben.«
    Sie stiegen nun die schmale Treppe hinauf und fanden die Schorlemmer am Bette des Kranken. Sie wollte das Zimmer verlassen, aber der Geheimrat bat sie zu bleiben. Lewin schlief mit einem Ausdruck, als ob er sich dieses Schlafes freue, und der alte Ladalinski war durch den Anblick erschüttert. Über ihn, seit jenem Tage, war kein erquicklicher Schlaf gekommen. Er nahm des Kranken Hand und sagte: »Er wird genesen«, und in dem schmerzlichen Ton, in dem er diese Worte sprach, klang es begleitend mit: »
Ich
nicht.«
    So verließen sie wieder das Haus und kehrten auf die Dorfgasse zurück, wo sich inzwischen alt und jung um den Chaisewagen und das verdrießlich über die Ledertrommel (als ob es eine Logenbrüstung wäre) hinwegblickende Windspiel versammelt hatte.
    »Ich spräche gern noch ein paar Worte mit dir«, sagte der Geheimrat und wies mit leiser Kopfbewegung auf die Dorfleute, die jetzt ihre neugierigen Blicke mehr auf das herzutretende Paar als auf den Wagen zu richten begannen.
    »Laß uns in die Kirche gehen«, erwiderte Renate, »die Tür ist offen.«
    Er war es zufrieden. Sie stiegen über die halbverfallene Feldsteinmauer und schritten, an ein paar Gräbern vorbei, auf dieselbe Seitentür zu, durch die Lewin am Weihnachtsheiligabend eingetreten war.
    In der Kirche war alles öde; nur auf den schwarzen Tafeln standen noch die Nummern der Gesangbuchverse, die man am letzten Sonntag gesungen hatte. Ein scharfes Seitenlicht fiel auf das Altarbild: eine Kreuzigung. Maria und Johannes fehlten, und nur eine Magdalena lag auf den Knien und hielt das Kreuz umfaßt. Es war ein häßliches Bild aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, am häßlichsten die Magdalena. Sie trug ein hohes Toupet von rotblondem Haar, in das große Perlen eingeflochten waren. Der Ausdruck sinnlich und roh. Den Geheimrat verdroß es; er wandte sich ab und suchte nach einem Platz in der Kirche, der ihm Sicherheit vor diesem Anblick gewähren mochte. Er fand ihn auch. Zur Seite des Altars, in eine Ecke geschoben, standen vier alte Chorstühle, die, nach ihrem Schnitzwerk zu schließen, noch aus der katholischen Zeit stammten und bei einer Renovierung der Kirche hier seitab ein Unterkommen gefunden hatten. Der alte Ladalinski zeigte darauf hin, und sie nahmen die beiden vordersten ein.
    Jeder scheute sich, von Kathinka zu sprechen. So stockte das Gespräch, noch ehe es recht begonnen. Endlich faßte sich Renate und sagte: »Ich vermisse Tubal; er war der Liebling der Tante, und nun fehlt er an ihrem

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