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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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in den Schlitten hinein. Aber die Laterne fiel ihr aus der Hand, und sie tat einen Schrei. Dann lief sie wieder in das Haus, rüttelte den Mann, der in dem Alkoven nebenan eingeschlafen war, und rief: »Steih up, Drews. Kumm, mach flink. Ick gloob, he is all dood.«
    »Wihr, wihr?« fragte der Krüger, aus dem Schlaf auffahrend.
    Aber die Frau war schon wieder an der Tür. »Jott, Jott, wihr sall et sinn...? De jungsche Herr von Hohen-Vietz.«
     

 
Vierter Band
Wieder in Hohen-Vietz
     
Erstes Kapitel
In Bohlsdorf
    Es war drei Tage später. In dem hinter der Gaststube gelegenen Alkoven saß die Bohlsdorfer Krügersfrau und beugte sich über ihr Kind. Sie sang es in Schlaf, aber mit leiser Stimme, und in noch leiserer Schaukelbewegung ging die Wiege. Es hätte dieser Vorsicht nicht bedurft, denn der Kranke, dem sie galt und der über dem Alkoven gebettet war, lag nun schon den dritten Tag in einem schweren Schlaf und war taub und tot gegen alles, was um ihn her vorging. Ein Arzt war noch nicht zu beschaffen gewesen, aber an Pflege gebrach es nicht, wenn man einem bloßen Aufmerken und Abwarten, dem sich seit dem gestrigen Tage zwei Frauen unausgesetzt unterzogen, diesen Namen geben konnte.
    Mittag war vorüber. Es mochte die zweite Stunde sein, die schon wieder sinkende Sonne schien durch das Fenster einer kleinen Giebelstube, und ein freundlicher Glanz, als ging' er von dem Kranken selber aus, war um diesen her.
    »Seine Stirn ist feucht«, sagte die Schorlemmer. »Geh, Renate, und ruhe dich aus. Eine Viertelstunde nur.«
    »Ich bin nicht müde.«
    »Du mußt es sein. Geh.«
    Und sie ging. Aber nicht, um zu ruhen, sondern um einen Brief, den sie versprochen hatte, nach Hohen-Vietz hin zu schreiben.
    Das Stübchen, das gleich nach ihrer Ankunft als Wohn- und Schlafzimmer eingeräumt worden war, lag an der andern Giebelseite des Hauses und zeigte noch jenes Durcheinander, das der erste Moment der Ankunft immer zu geben pflegt.
    Zum Ordnen und Aufräumen war eben noch nicht Zeit gewesen. Auf zwei Stühlen stand der geöffnete Reisekoffer, während auf eins der beiden Betten hin Muffen und Mäntel samt allerlei Shawls und Tüchern geworfen waren.
    Renate schien auch jetzt noch kein Auge für diese Dinge zu haben, ließ alles liegen, wie es lag, und rückte nur den Tisch, um besseres Licht zu haben, an den Fensterpfeiler. Dann schob sie die rote Leinwanddecke, in die ein radschlagender Pfau weiß eingemustert war, ziemlich unsorglich beiseite und nahm ein Karlsbader Schreibnecessaire aus dem Koffer, das, wenn man es aufklappte, ein schräges Pult bildete. Aber die Tinte war fest eingetrocknet, so fest, daß selbst ein paar Tropfen Wasser nicht helfen wollten. So mußte denn anderweitig Rat geschafft werden. Sie nahm aus ihrem Notizbuch ein dünnes Bleistiftchen, das natürlich abgebrochen war, gab ihm eine Spitze, so gut es ging, und schrieb nun in Schriftzügen, deren schwer entzifferbare Form nur noch von ihrer Blässe übertroffen wurde, das Folgende:
     
    »
Bohlsdorf
, den 1. Februar
     
    Liebe Marie!
    Wir sind gestern um die vierte Stunde hier angekommen und fanden unseren Kranken in einem tiefen Schlafe, der auch jetzt noch anhält. Wie tief dieser Schlaf ist, zeigte sich heute früh. Ich stieß ein neben dem Ofen stehendes Schüreisen um und erschrak, denn es gab einen großen Lärm; aber Lewin öffnete die Augen nur, um sie sofort wieder zu schließen. Übrigens schien er mich erkannt zu haben; ich sah ihn lächeln, freilich nur wie im Traum, denn der Schlaf hatte gleich wieder Gewalt über ihn. Wir erwarten jeden Augenblick Doktor Leist, und diese Zeilen sollen nicht eher fort, als bis wir ihn gehört haben.
    Wie dies alles so gekommen? Ich habe nur wenig mehr erfahren, als wir schon wußten. Und Du mit uns. Ein Knecht fand ihn besinnungslos am Wege, lud ihn auf seinen Schlitten und gab ihn hier in Bohlsdorf ab. Die Krügersleute haben sich seiner angenommen und ihn gehegt und gepflegt. Er liegt in einer Giebelstube; Tante Schorlemmer und ich bewohnen die andere; nur der Bodenflur ist zwischen uns.
    Warum er Berlin verlassen hat, um in Wind und Wetter bis hierher zu kommen, darüber hab ich nur Vermutungen. Und auch diese kaum. Es muß etwas Plötzliches gewesen sein, denn er war leicht gekleidet und trug nur Rock und Filzkappe, trotzdem es eine naßkalte Nacht war. Eine Stunde früher, als der Knecht ihn fand, hat ihn der Bohlsdorfer Amtmann, der mit seiner jungen Frau von einem der Nachbardörfer kam, auf

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