Vor dem Sturm
streichen? Wir, die wir zuerst gekräht haben, zuerst und am lautesten. Sollen wir uns sagen lassen, daß wir bloß gespielt und mit Exerzitium und Trommelschlagen dem lieben Herrgott die Zeit gestohlen hätten. Nein, ich hasse nichts mehr als diese Soldatenspielerei. Und warum? Weil ich Soldat war und das Ding ernsthaft ansehe. Ein Bürger, ein Bauer ist nicht gebunden, die Waffe zu nehmen, aber wenn er sie nimmt, muß er sie brauchen, sonst ist er ein Narr oder ein Prahler.«
»Es ist doch ein eigen Ding um den Ungar«, schmunzelte Bamme und drehte seinen Schnurrbart. »So läßt er uns beispielsweise die Rollen tauschen. Sie, Vitzewitz, sprechen wie Bamme, so muß ich denn wie Vitzewitz sprechen. Das heißt ruhig und besonnen. Nein, Freund, Sie gehen zu weit, vor allem zu weit gegen sich selbst. Zum Streiten gehören zwei, sagt das Sprichwort. Und zum Bataillieren auch. Erst müssen wir sie haben,
haben.
«
»Nicht doch«, unterbrach ihn Berndt, »verstecken wir uns nicht hinter
diesem
Satz. Der Feind ist überall. Es braucht nur guten Willen, und wir begegnen ihm. ›Suchet, so werdet ihr finden.‹ Ein Sprichwort ist des anderen wert, und meines ist sogar ein Spruch. Solche Trupps, wie die hundert Mann in Guse, sind jetzt auf jeder Straße. Wir erklären sie gefangen, mehr ist nicht nötig. Es sind Expeditionen (du warst ja dabei, Tubal), als ob wir Muschwitz und Rosentreter aufsuchten, meine ›französischen Marodeurs‹ von damals. Von Gefahr keine Rede, viel weniger, als um unserer Reputation willen zu wünschen wäre. Aber das Blatt kann sich wenden, neue Regimenter des Vizekönigs mischen sich schon mit den alten, und unter allen Umständen, so oder so, du bleibst, du und deine Freunde!«
Tubal wechselte zustimmende Blicke mit Hirschfeldt.
»So bleiben wir denn«, riefen beide, und Hirschfeldt, indem er sich gegen Berndt verneigte, setzte hinzu: »Der Aufruf ist noch nicht da, und die Bildung der Freiwilligencorps hat kaum erst begonnen. So versäumen wir nicht viel. Ist doch Hohen-Vietz ohnehin eine Etappe nach Schlesien; in drei Tagen sind wir in Breslau, spätestens in vier. Ich für mein Teil stelle mich zu Diensten, und unser Freund Grell, bei allem Kriegseifer, der ihn beseelt, wird ein Gespräch über Hölderlin, zu dem sich ihm hier die beste Gelegenheit darbietet, auch nicht zu den verlorenen Stunden zählen. Ich bitte den Herrn General, über mich verfügen zu wollen.«
»Topp, Hirschfeldt«, sagte dieser. »Das nenn ich eingefangen! Sie sind mir willkommener, als Sie wissen können. Es ist nichts Kleines für einen alten Zietenschen, der bloß reiten und die Augen aufmachen kann, einen ›Aide de camp‹ um sich zu haben, der sich auf Karten und Listen und aufs Schreiberhandwerk versteht. Denn ganz ohne Federfuchserei geht es nicht mehr in der Welt. Auf gute Kameradschaft also!«
Und dabei klangen die Gläser zusammen.
Eine Viertelstunde später erhoben sich alle von der Tafel, und die beiden Damen, während der Rest der Gesellschaft das Eckzimmer aufsuchte, stiegen in das obere Stockwerk hinauf, um hier für die Placierung ihrer Gäste Sorge zu tragen. Sie kamen überein, den Hölderlin-schwärmenden Grell bei Lewin, Tubal und Hirschfeldt aber in dem nebenangelegenen Zimmer unterzubringen. Alles dies war rasch geordnet, nur Bammes Unterbringung machte Schwierigkeiten. »Wo schaffen wir ihn hin?« sagte die Schorlemmer. »Ich mag ihn nicht auf unserem Korridor haben. Er ist anstößig und ein Greuel.«
»Ich fürchte mich auch vor ihm«, entgegnete Renate. »Das heißt, ein wenig.«
»Und das ist gut, daß du dich fürchtest. Ich tue es auch, wenn Abneigung Furcht ist. Er darf nicht nach oben, zehn Schritt von deinem und meinem Zimmer. Vielleicht klingelt er, oder gewiß klingelt er, und Maline muß ihm ein Glas Wasser bringen.«
»Nun?«
»Nun?« wiederholte die Schorlemmer. »Wie du nur fragst, Renate! Ich habe dich doch zu fromm erzogen. Ein Mensch wie Bamme trinkt nie Wasser und klingelt immer und rechnet dabei auf dies und das.«
»Aber, liebe Schorlemmer...«
»Ich habe mit den Angekoks gelebt«, fuhr diese fort, »und die Grönländer, die auch klein sind, geradeso klein wie dieser Bamme, die waren auch alle in der Fleischeslust. Meine liebe Renate, gewiß, man soll den Teufel nicht an die Wand malen; aber ebenso gewiß ist es, man soll den Brunnen nicht erst zudecken, wenn das Kind hineingefallen ist. Und die Maline ist ein Kind, ja, das ist sie mit all ihrer Klugheit.
Weitere Kostenlose Bücher