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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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dergleichen zu Dutzenden hinter sich haben. Sie müssen also davon wissen. Was halten Sie von Überfallen einer feindlichen Stadt? Denn als solche, verzeihen Sie, Justizrat, müssen wir Ihr loyales Frankfurt um seiner feindlichen Besatzung willen vorläufig ansehen.«
    »Was ich zu sagen habe«, nahm jetzt Hirschfeldt das Wort, »ist kurz das. Alles hängt, die russische Mitwirkung als sicher angenommen, von der Beschaffenheit eben dieser feindlichen Besatzung ab; ist es eine gute Truppe, so geht es schlecht, ist es eine schlechte Truppe, so geht es gut.«
    »Dann wird es gut gehen«, warf jetzt Vitzewitz dazwischen. »Und unter allen Umständen, wir dürfen diesen Vogel nicht wieder aus den Händen lassen, auch nicht auf die Gefahr hin, daß er uns kratzt und beißt. Aber er wird es nicht. Diese Regimenter sind Rudera, wie die hundert Mann, die wir in Guse hatten. Ein Hurra, und sie werfen die Gewehre weg. Also mit gutem Mute vorwärts. Oder sollen wir uns niedriger veranschlagen als die zwanzig Kosaken samt ihrem Tettenborn! Ich für meine Person akzeptiere den Plan und antworte mit einem bedingungslosen: ›Ja.‹«
    Alles stimmte bei; selbst Renate wurde für einen Augenblick von dem kriegerischen Geiste ihres Hauses erfaßt. »Ja, ja«, klangen die Stimmen durcheinander. Endlich legte sich die Aufregung, und nachdem Drosselstein sein Versprechen wiederholt und seinen Besuch im russischen Hauptquartier auf den andern Vormittag festgesetzt hatte, erklärten sich Berndt und Bamme bereit, unmittelbar nach Rückkehr des Grafen eine Frankfurter Rekognoszierungsfahrt antreten zu wollen. Bei Gelegenheit dieser Fahrt sollten dann mit Othegraven alle weiteren Verabredungen zu prompter gemeinschaftlicher Aktion, an der übrigens Turgany
persönlich
nicht teilnehmen zu wollen erklärte, getroffen werden.
    Die Stimmung zu scherzhaftem Geplauder ließ sich nicht wiederfinden, und so wurde denn zu verhältnismäßig früher Stunde aufgebrochen. Erst fuhr der Schlitten vor; zehn Minuten später hoben sich auch die Reiter in ihre Sättel. Der Tauwind, der während der Nachmittagsstunden geweht, hatte nachgelassen, und es zog eine scharfe Luft von Osten her; der Himmel klärte sich wieder, und die Sterne traten immer blitzender hervor.
    Bamme ritt zwischen Berndt und Tubal. Es ging im Schritt, und der Shetländer hatte Mühe, sich mit den beiden andern Reitern en ligne zu halten. Ein jeder hing seinen Betrachtungen nach; endlich sagte Bamme: »Wer ist dieser Othegraven?«
    »Ein Konrektor«, antwortete Berndt. »Etwas steif und pedantisch, aber energisch und mutig von Natur. Und hätt er diesen Mut
nicht
, so würd er ihn aus seiner Begeisterung schöpfen. Ein Mann von Ehre.«
    »Sonderbar«, sagte Bamme. »Zu meiner Zeit waren die Konrektors anders. Wir hingen ihnen einen Papierzopf an oder bemalten ihnen den Rücken, und ich entsinne mich nicht, daß es von irgendeinem geheißen hätte: er sei ein Mann von Ehre.«
    Der Alte schwieg, schien aber seinen Gedanken weitergesponnen zu haben, als er nach einer Weile fortfuhr: »Ihre Schwester, die Gräfin, liebte von solchen Dingen zu sprechen und sah dann immer verdrießlich aus, weil sie nicht recht wußte, ob sie weinen oder lachen sollte. ›Das ist der Wind, der von Westen her weht.‹ Es war französisch, das war das Gute daran, aber das Aufkommen der Roture störte sie wieder. Ich für mein Teil habe nichts gegen die Roture. Kann mir nicht helfen, mir bedeutet der Mensch die Hauptsache, und ist dieser ganz allgemeine homo, von dem ich als guter Lateiner wohl sprechen darf, wirklich um einen Kopf gewachsen, seitdem sie drüben den armen König um ebensoviel kürzer gemacht haben, so scheint mir die Sache nicht zu teuer bezahlt. Le jeu vaut la chandelle. Auch eine Guser Reminiszenz. Ach, Vitzewitz, das Dümmste sind doch die Vorurteile. Wie gefiel Ihnen Drosselstein, als er heute wieder das ostpreußische Register zog?«
    »Und noch dazu an falscher Stelle«, lachte Berndt. »Ich habe zufällig in Erfahrung gebracht, von wem der Aufruf geschrieben wurde. Staatsrat Hippel. Ostpreußisches pur sang. Aber ich wollte Drosselstein die Beschämung ersparen. In unseren Schwächen sind wir am empfindlichsten, Sie, ich, jeder. Seien wir froh, daß wir ihn haben; er ist doch der Sanspareil unseres Kreises und von Kopf zu Fuß ein Edelmann. Die meisten heißen bloß so; er aber hat den Vorzug, einer zu
sein

    Bamme stimmte bei; damit brachen sie das Gespräch ab und setzten ihre Pferde

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