Vor dem Sturm
befallen, beschwor sie das Fräulein, in das Zimmer des Kranken zurückzueilen, um diesen zu retten, wenn überhaupt noch zu retten sei. Und über die Korridore hin flog jetzt die leichtverhüllte Gestalt Wangelinens, bis ein ihr plötzlich entgegentretender Kavalier, an dem sie leidenschaftlich hing, ihren flüchtigen Gang auf Augenblicke hemmte. Auf Augenblicke nur, aber lange genug, um den Tod des Prinzen zu verschulden. Sie kam zu spät, und der Fluch traf sie, das im Leben versäumte Wort im Tode sprechen zu müssen. So geht sie um und warnt.«
Diese kurzen Notizen, trotz ihrer Lücken und Dunkelheiten oder vielleicht auch um derselben willen, hatten eines Eindrucks auf die Mehrzahl der Anwesenden nicht verfehlt. Nur Bamme schüttelte historisch-kritisch den Kopf und sagte, während er die Tasse aus der Hand setzte: »Pardon, Drosselstein, daß ich Ihnen widerspreche. Aber es geschieht wenigstens nicht leichtsinnig. Sie wissen, ich habe ein paar Liebhabereien, früher waren es die jungen Frauen, jetzt sind es die Weißen, und alles, was von Peter Goldschmidts ›Höllischem Morpheus‹ an bis auf Rentschs ›Brandenburgischen Zedernhain‹ hinunter über die Weißen Frauen geschrieben worden ist, das hab ich gelesen. Und siehe da, es ist und bleibt die Orlamünderin. Ich kann den Verdacht nicht unterdrücken, daß sich Ihre Verwandten, die Burgsdorffs, eine neue Weiße Frau kreiert haben, bloß aus Rancune, weil einer von ihnen, und zwar niemand Geringeres als Ihr berühmter Konrad von Burgsdorff, weiland Günstling des Großen Kurfürsten, von der
wirklichen
Weißen Frau (meiner Orlamünderin) die Berliner Schloßtreppe hinuntergeworfen wurde. Dergleichen vergessen unsere märkischen Familien (die wegen mangelnder ›Gradheit und Männlichkeit‹ natürlich alle tückisch und rachsüchtig sind) so gut wie nie, und so haben sich denn die Burgsdorffs durch Aufstellung einer Prätendentin zu revanchieren und dem altetablierten Spuk ein Paroli zu biegen gesucht.«
Drosselstein preßte die Lippen zusammen und sagte pikierter, als sich mit seiner sonstigen Sprechweise vertrug: »Eh bien, General, wenn Sie den ›Höllischen Morpheus‹ gelesen haben, woran ich nicht im geringsten zweifle, so verzicht ich darauf, Ihre Meinungen zu widerlegen.«
Bamme hörte die Gereiztheit sehr wohl heraus, verneigte sich aber, als ob nichts vorgefallen sei, und fuhr in demselben Tone fort: »Es ist, wie ich sage: Prätendentenschaft aus Familienrancune. Nichtsdestoweniger, Drosselstein, wenn ich etwas für Ihre Wangeline tun kann, so rechnen Sie auf mich. Erstens bin ich überhaupt für alles Stürzen und Absetzen, das einzige, was mir die Weltgeschichte lesbar macht, und zweitens und hauptsächlichst muß ich Ihnen einräumen, daß es meine alte Freundin, die Orlamünderin, ihrerseits übertrieben hat. Sie verdient eine Dethronisierung. Und warum? Weil sie die Gesetze nicht hält. Und daran geht jede Dynastie zugrunde; auch im Reiche der Gespenster.«
Renate lachte und sagte dann: »Aber, General, da geraten Sie doch in einen argen Widerspruch mit sich selbst. Sie proklamieren erst Ihre Vorliebe für alles Stürzen und Absetzen, will sagen, für alles Auflehnen gegen das gegebene Gesetz, und im selben Augenblicke rechnen Sie es Ihrer armen Orlamünderin zum Schaden und Nachteil an, die Gesetze ›im Reiche der Gespenster‹ nicht gehalten zu haben. Wie wollen Sie da heraus?«
»Eine heikle Situation«, replizierte Bamme. »Soviel muß ich zugeben, meine Gnädigste. Aber ich will es wenigstens versuchen, aus dem Dilemma herauszukommen. Sehen Sie, da hab ich diesen letzten Winter ein englisches Trauerspiel, den ›König Richard III.‹, aufführen sehen. Eine sehr interessante Figur, tapfer, rücksichtslos und, was die Hauptsache ist, diabolisch vergnügt. Nun, ich darf wohl sagen, ich habe mich gefreut, ihn unter seinen Brüdern und Lords aufräumen und sich die Krone aufsetzen zu sehen; aber ich kann nicht behaupten, mich am Schlusse des Stücks über die fatale Lage, in die er sich durch ein halbes Dutzend allerliebster Morde gebracht sieht, im geringsten gewundert zu haben. Mit anderen Worten, ich lese gern von Stürzen und Absetzen und gedenke bei diesem Geschmack zu bleiben, aber ich find es andererseits nur in der Ordnung – außerdem auch eine Steigerung meines Vergnügens –, den Stürzer und Absetzer schließlich selbst an die Reihe kommen zu sehen. Illegitimitäten sind interessant und von einem gewissen Standpunkte
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