Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
geworden, bis sich zuletzt das Rätsel löste. Himmerlich, ein jüngerer Studiengenosse Othegravens, stand in Korrespondenz mit diesem und ermangelte nie, über die literarischen Wochenvorgänge zu berichten. Von Othegraven kam es dann an Turgany.
    Dieser hatte Platz genommen, und während er noch, unter fortgesetzten Aperçus, in denen er exzellierte, seine Tasse ausnippte, sagte Drosselstein: »Und nun, Turgany, was verschafft uns die Freude, Sie hier zu sehen? Ich bin Erfahrungsmann genug, um Ihnen irgend etwas wie Geschäfte von der Stirn zu lesen. Auch ist mir Ihr Sprühfeuer verdächtig. Ich fürchte, die Douche kommt nach. Was ist es? Etwas Juristisches?«
    »Nicht doch«, entgegnete Turgany. »Höher hinaus. Politisch-militärisch.«
    »Das wäre«, sagte Drosselstein, und Berndt und Bamme horchten auf, ohne zunächst an einen rechten Ernst zu glauben.
    Der Justizrat aber wiederholte: »Politisch-militärisch. Lassen Sie mich gleich in medias res gehen. Ich darf es doch? Wir sind unter uns?«
    Drosselstein nickte.
    »Nun denn«, begann Turgany, »was mir zu sagen obliegt, ist kurz das: Wir haben seit drei Tagen den französischen General Girard in unserer Stadt, von der Armee des Vizekönigs, mit ihm zwei schwache Regimenter, keine zweitausend Mann.«
    »Kriegskasse?« fragte Bamme.
    »Nein, aber fünfzig Kanonen, bronzene Acht- und Zwölfpfünder. Und auch das ist nicht zu verachten. Die Tage sind vor der Tür, wo wir sie werden brauchen können, brauchen in der richtigen Direktion, das heißt mit Front gegen Westen. Der ›Aufruf‹ verschweigt es, aber man muß zwischen den Zeilen lesen.«
    Berndt und Bamme wechselten Blicke des Einverständnisses; Turgany fuhr fort:
    »Also zweitausend Mann und fünfzig Kanonen. Es fragt sich, ob die Mittel da sind, einen Überfall gegen diese feindlichen Streitkräfte zu wagen. Auf die Frankfurter Bürgerschaft, oder doch auf einen starken Bruchteil derselben, ist mit Sicherheit zu rechnen. Und im Namen dieser Bürgerschaft bin ich hier. Othegraven, der an der Spitze steht, ist entschlossen, mit zwölf Mann alten Soldaten, die sich freiwillig gemeldet haben, den General Girard gefangenzunehmen. Zugleich Stab und Adjutantur des Generals. Was die Besatzung angeht, so befindet sie sich in der Dammvorstadt, an der andern Seite der Oder. Alles liegt also daran, die Verbindung zwischen hüben und drüben zu stören. Das Aufeisen des Flusses hat zu beiden Seiten der Brücke bereits begonnen; diese selbst wird geopfert werden, wenn es die Umstände fordern. Hier haben Sie, was unsererseits geboten werden kann.« Der Justizrat schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er fort: »Lassen Sie mich noch ein paar Worte hinzusetzen. Ihre Landsturmkräfte, soweit
ich
eingeweiht bin, reichen mutmaßlich für das Unternehmen aus, sie werden aber
sicher
ausreichen, wenn die Russen, die nur drei Meilen von Frankfurt stehen, ihre Mitwirkung zusagen. Diese Mitwirkung würde sich auf einen bloßen Scheinangriff gegen die Dammvorstadt zu beschränken haben und nur den Zweck verfolgen, die jenseits liegenden zweitausend Mann von einem Übergangsversuche auf das diesseitige Flußufer abzuhalten. Ich war angewiesen, alles dies, behufs weiterer Veranlassung, zur Kenntnis unseres nächsten Nachbars, des Herrn Grafen Drosselstein, zu bringen; ein glücklicher Zufall aber hat es gefügt, daß ich dem Herrn General selbst« (und hierbei verneigte sich Turgany gegen Bamme) »ein Bild der Sachlage geben konnte.«
    Alles war sehr ernst geworden, und weder die klappernden Rouleauxringe noch Wangeline selbst konnten länger als Ursache des Fröstelns gelten, das plötzlich über alle hinlief. Es war vielmehr das Bewußtsein, sich auf einen Schlag vor eine Entscheidung gestellt zu sehen; jeder erschrak, und selbst in Berndt und Bamme befehdete sich das Gefühl einer schweren und gefahrvollen Verantwortung mit ihrer Freude darüber, daß nun endlich die Stunde gekommen sei. Nach einer Weile sagte Bamme:
    »Hirschfeldt, Sie haben mehr Krieg gesehen als ich, was antworten wir?«
    Hirschfeldt zuckte leise die Achseln und begleitete dies Achselzucken mit einer Handbewegung, die so gut Zustimmung wie Ablehnung ausdrücken konnte. Der alte General gewann dabei seine gute Laune wieder und sagte: »Soweit bin ich gerade auch: halber Weg zwischen ja und nein. Ihre spanische Kriegsführung, soviel ich davon weiß (leider wenig genug), ist eine lange Kette von Beschleichungen und Überrumpelungen gewesen. Ich wette, daß Sie

Weitere Kostenlose Bücher