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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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nicht selbst. Was war es? War es Vaterland und heilige Rache, oder war es Ehrgeiz und Eitelkeit? Lag bei
dir
die Entscheidung? Oder wolltest du glänzen? Wolltest du der erste sein? Stehe mir Rede, ich will es wissen; ich will die Wahrheit wissen.«
    Er schwieg eine Weile; dann ließ er den Zweig los, an dem er sich gehalten hatte, und sagte: »Ich weiß es nicht. Bah, es wird gewesen sein, wie es immer war und immer ist, ein bißchen gut, ein bißchen böse. Arme kleine Menschennatur! Und ich dachte mich doch größer und besser. Ja, sich besser dünken, da liegt es; Hochmut kommt vor dem Fall. Und nun welch ein Fall! Aber ich bin gestraft, und diese Stunde bereitet mir meinen Lohn.«
    So war er bis auf den Hof seines Hauses gekommen. In der Halle fand er Tubal, der, erschöpft von der Anstrengung, in Jeetzes Lehnstuhl eingeschlafen war. Neben ihm lag Hektor. Als dieser seines Herrn ansichtig wurde, sprang er auf und drängte sich an ihn, aber ohne sonst ein Zeichen der Freude zu geben. Berndt streichelte das kluge Tier, warf einen Blick voll stillen Neides auf den schlafenden Tubal und schritt dann auf die Tür zu, die nach dem Eckzimmer führte. Er legte die Hand auf den Griff und zögerte noch einmal. Aber es mußte sein. Nur die beiden Mädchen waren da. Renate flog ihm entgegen. »Mein einzig lieber Papa«, rief sie und hing an seinem Halse. Dann ließ sie von ihm ab und fragte wie sein Gewissen: »Wo ist Lewin?«
    Der alte Vitzewitz rang, ein Wort zu finden. Endlich, in einem Tone, in dem sich der ganze Jammer seines eigenen Herzens aussprach, sagte er: »Ich weiß es nicht.«
    »Also gefangen, tot?«
    »Nein, nicht tot, noch nicht.«
    Angst und Zittern ergriffen Renaten, aber in demselben Momente sah sie, daß Marie schwankte und wie leblos zu Boden stürzte. Berndt war von dem Anblick wie mitgetroffen. Ihm schwindelte unter dem Andrang alles dessen, was auf ihn einstürmte; endlich riß er sich aus seiner Betäubung und zog die Klingel. Jeetze kam, gleich darauf auch die Schorlemmer; alles lief und rannte; er selber aber war geschäftig, Marie wieder aufzurichten. Als ihm dies geglückt, sah er, daß sie aus einer Stirnwunde dicht neben der linken Schläfe blutete; sie war auf den scharf vorspringenden Kaminfuß gefallen. Endlich von ihrer Ohnmacht sich wieder erholend, verlangte sie nach dem Schulzenhofe gebracht zu werden, wozu sich Maline weniger aus Mitleid als Neugier sofort bereit erklärte. Durfte sie doch hoffen, unten im Dorfe mehr zu hören als im Herrenhause, wo jeder sich einschloß und schwieg. Selbst auf Bamme, trotzdem seine Klausur aufgehört hatte, war nicht viel zu rechnen.
    Als Berndt und Renate wieder allein waren, sagte jener: »Was war es mit Marie? Ich hätte sie für fester gehalten.«
    Renate schwieg.
    »Er ist dein Bruder«, fuhr Berndt fort. »Und doch, du trugst es.«
    Eine Pause folgte, während welcher Renate den Blick zu Boden senkte. Endlich antwortete sie: »Sie liebt ihn.«
    Der alte Vitzewitz, nach allem, was er eben mit Augen gesehen hatte, schien eine Antwort wie diese erwartet zu haben und sagte deshalb ruhig: »Und er – weiß er davon?«
    »Nein.«
    »Bist du dessen gewiß?«
    »Ja, ganz gewiß. Nie verriet sie sich, weder mit Wort noch Blick. Und hätte sie's, Lewin hätte kein Auge dafür gehabt; er war blind in seiner Liebe zu Kathinka.«
    Berndt schritt im Zimmer auf und ab, und die widerstreitendsten Empfindungen bekämpften sich in seiner Brust. Einen Augenblick zuckte es spöttisch um seinen Mund, daß des »starken Mannes« Kind in das alte Haus der Vitzewitze kommen solle, aber dann schwand aller Spott wieder, und die nächstliegende Not gewann allein Gewalt in seinem Herzen, die Not um den einzigen Sohn. »Wie rette ich ihn?« Und es war, als ob er vor sich selber ein Gelübde täte: »Gott, ich lege jeden Stolz zu deinen Füßen; demütige mich, ich will stillhalten; alles, alles; nur erhalte mir ihn.«
    Renate, während Berndt auf und ab geschritten war, war ihm mit den Augen gefolgt. Sie wußte genau, was in seiner Seele vorging, und sagte jetzt: »Bitte, Papa, sage mir alles. Was ist es mit ihm? Verschweige mir nichts!«
    Er nahm ihre Hand. »Ich habe dir nichts verschwiegen, Kind. Dunkel und Ungewißheit ist alles. Ich weiß nicht mehr als du. Aber eines weiß ich nur zu gut: wir müssen alles fürchten, alles, auch wenn in diesem Augenblicke Gottes Sonne noch über ihm scheint. Mit den Waffen in der Hand gefangen! Sie werden ihn vors Kriegsgericht

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