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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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geworden. Die Voltigeurs, immer weiter nach rechts sich dehnend, hatten flußabwärts, an Stellen, wo das Aufeisen ein Ende nahm, ihren Übergang bewerkstelligt und schickten sich an, aus allen Nebengassen vorbrechend, unsere gesamte Aufstellung von Seite und Rücken her zu nehmen. Und schlimmer als alles, auch die wenigen, diesseits in Bürgerquartieren untergebrachten Franzosen, die sich bis dahin ruhig und versteckt gehalten hatten, gewannen jetzt wieder Mut und schossen aus den Fenstern ihrer Häuser. Es waren namentlich die Drosselsteinschen, die von diesem Fensterfeuer arg betroffen wurden, und als gleich darauf, »pour combler le malheur«, wie der Graf vor sich hin murmelte, auch die drüben am »Goldenen Löwen« stehenden Grenadierabteilungen ein Salvenfeuer mitten durch den Qualm und Rauch der brennenden Brücke hin abgaben, kam ein Schwanken in die ganze Linie.
    Es stand in Wahrheit hoffnungslos; nichtsdestoweniger flackerte die Hoffnung noch einmal auf, als in eben diesem bedrohtesten Augenblicke vom Kirchplatze her der feste Tritt der heranmarschierenden Hohen-Vietzer vernehmbar wurde.
    »Hurra, Kinder!« rief Bamme, »das ist die Schwedentrommel«, und unter dem Jubel der Pikeniere, die momentan wieder zum Stehen gebracht worden waren, rückten jetzt unsere Freunde in die vorderste Linie ein.
    Berndt erkannte vom Sattel aus sofort, daß sich, eben jetzt, um die bis dahin siegreich verbliebenen Frankfurter Bürgerschützen eine geschickt angelegte Schleife zusammenzuziehen begann, und in höchster Erregung seinen drei vordersten Sektionen zurufend: »Vorwärts...! Nicht schießen, Bajonett!«, spornte er, bevor er noch wahrnehmen konnte, ob man ihm folge oder nicht, sein Pferd mitten in den Knäuel hinein, gerade auf die Stelle zu, wo er den mit einem alten Kavalleriesäbel sich nach links und rechts hin wie wahnsinnig verteidigenden Konrektor deutlich erkannt hatte. Aber freilich, eh er noch an diesen herankonnte, wär er sicherlich vom Pferde gerissen und ein Opfer seines Muts und seiner Hilfebereitschaft geworden, wenn ihm nicht seine Hohen-Vietzer dicht und mit Ungestüm gefolgt wären, so dicht, daß er inmitten aller Aufregung und Verwirrung dennoch jeden einzelnen zu erkennen glaubte. Er sah, daß Kniehases Stirn blutete und daß Grell, der in dem wirren Durcheinander seine Kappe verloren hatte, von einem französischen Offizier niedergehauen wurde. Dann aber umschleierte sich alles vor seinen Augen, Schüsse fielen, französische und deutsche Fluchwörter, und als er eine Minute später aus dem Knäuel wieder heraus war, mußte er wahrnehmen, daß all ihre Anstrengungen nichts erreicht hatten und daß es mißglückt war, Othegraven zu befreien. Wer außer Grell noch gefallen oder gefangen war, ließ sich im Momente nicht mit Bestimmtheit übersehen. Lewin wurde vermißt; aber er konnte zu den Versprengten und Abgedrängten gehören, von denen sich in jedem Augenblick verschiedene wieder einfanden.
    Nach diesem allem konnt es sich nur noch darum handeln, möglichst rasch und mit möglichst wenig Verlust aus der Frankfurter Falle wieder herauszukommen. Bamme gab Befehl erst zum Abbrechen des Gefechtes, dann zum Rückzuge. Die Pikeniere rückten über den inzwischen leer und lichtlos gewordenen Platz, dann folgte Hohen-Ziesar, dann Lietzen- Dolgelin. Die Hohen-Vietzer, die noch den meisten Halt hatten, deckten den Rückzug. Dieser ging in Ordnung, bis die Spitze der Kolonne das alte Lebuser Tor erreichte. Hier, von Flintenschüssen des wieder ins Gewehr getretenen französischen Wachkommandos empfangen, gerieten die Vordersten ins Schwanken und gleich darauf in eine Verwirrung, die sich bald dem ganzen Zuge mitteilte und während des Marsches durch die Vorstadt hin eher steigerte als minderte. Die lange Straße lag im Dunkel, hier Wagen, dort umgestülpte Fischerboote hemmten die Passage, und viele der ermüdeten Landsturmmänner glitten aus oder stürzten in die Gossen und Löcher, an denen kein Mangel war.
    »Licht!« schrie Bamme, »verdammte Sottmeiers, stecken Häuser an und wollen Lichter sparen. Licht, sag ich, oder den roten Hahn auf euer Dach.«
    Und dabei schlug er mit seinem Fischbein, zu dem er wieder seine Zuflucht genommen hatte, an die Haustüren und Fensterläden. Das half; einzelne Lichter erschienen, und man sah jetzt wenigstens, wo man war. So ging es in schwankender Linie die nicht enden wollende Vorstadt entlang, am Sankt-Georgs-Hospitale vorbei, bis sie zuletzt am »Letzten

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