Vor dem Sturm
worden, so hieß es in nicht endenden Scherzreden: »Rutze sei untergeschoben; es gäbe keine Rutzes mehr: der letzte läge längst in der Protzhagener Kirche begraben.« Unser Hauptmann, kein Meister im Repartie, wurde mißmutig; er nahm den Abschied und kaufte Protzhagen, um nunmehr an Ort und Stelle die Beweisführung anzutreten, daß es mit dem »letzten Rutze« noch gute Wege habe. Aber er verbesserte sich dadurch nur wenig. Die Stargarder Neckereien waren bekannt geworden und hatten nun auf Schloß Guse ihren Fortgang. Bamme verschwor sich hoch und teuer, daß es mit einem der beiden »letzten Rutzes«, dem jetzigen oder dem früheren, notwendig eine sonderbare Bewandtnis haben müsse. Entweder sei der selige Hans von Rutze nichts als eine gespenstische Vorerscheinung, eine Spiegelung von etwas erst Kommendem gewesen, oder aber der unter ihnen wandelnde Freund, ohnehin beinahe fleischlos, sei ein Revenant. Was ihn (Bamme) persönlich angehe, so gäbe er der ersteren Annahme den Vorzug, weil ihm darnach die Wirklichkeit der Dinge noch eine Hirschjagd, einen Schluchtensturz und einen den Hals brechenden Rutze schuldig sei.
Der alte Hauptmann folgte diesen Auseinandersetzungen jedesmal mit süßsaurem Gesicht, hatte sich aber längst aller Proteste dagegen begeben. Dann und wann schritt er seinerseits zum Angriff, ohne jedoch mit Hilfe dieses Kunstgriffs dem gewandten Bamme beikommen zu können.
Unter seinen sonstigen kleinen Schwächen war die bemerkenswerteste die, daß er sich, in Anbetracht seines aus Schluchten und Abhängen bestehenden Protzhagener Territoriums, für eine Art Gebirgsbewohner hielt. »Wir auf der Höhe« zählte zu seinen Lieblingsredewendungen.
Der Gräfin war er wert durch einen besonderen Respekt, den er ihr entgegenbrachte. Denn wie sehr sie vorgeben mochte, über Huldigungen und Schmeicheleien hinweg zu sein, so war sie schließlich doch nicht unempfindlich dagegen.
Der siebente und letzte des »engeren Zirkels« war Doktor
Faulstich
Ein späteres Kapitel wird von ihm ausführlicher erzählen.
Viertes Kapitel
Vor Tisch
Der ganze Freundeskreis, mit Ausnahme Doktor Faulstichs, welcher nach altem Herkommen den dritten Feiertag in Ziebingen zuzubringen pflegte, war nach Schloß Guse geladen. Auch Lewin und Renate, wie wir wissen.
Diese waren die ersten, die eintrafen. Die Einladung hatte auf vier Uhr gelautet, aber eine volle Stunde früher schon bog der Schlitten Lewins in eine der großen Avenuen ein. Es war nicht mehr die Planschleife mit Strohbündeln und Häckselsack, in der wir zuerst die Bekanntschaft unseres Helden machten; Tante Amelie, für sich selbst gelegentlich salopp, hielt auf Eleganz der Erscheinung bei anderen. Dem bequemten sich die Hohen-Vietzer nach Möglichkeit. Der Schlittenstuhl, mit einem Bärenfell überdeckt, zeigte die bekannte Muschelform, blaugesäumte Schneedecken blähten sich wie seitwärts gespannte Segel, und statt des rostigen Schellengeläutes, das am Heiligabend unseren Lewin in Schlummer geläutet hatte, stand heute ein Glockenspiel auf dem Rücken der Pferde, und zwei kleine Haarbüsche wehten rot und weiß darüber hin. Die körnerpickenden Sperlinge flogen zu Hunderten in der Dorfgasse auf; so ging es auf das Schloß zu. Jetzt war auch die Sphinxenbrücke passiert, und der Schlitten hielt. Lewin, rasch die Decke zurückschlagend, reichte Renaten die Hand, die nun mit der Raschheit der Jugend aus dem Schlitten auf eine über den harten Schnee hin ausgebreitete Binsenmatte sprang. So schritt sie dem Eingange zu. Sie erschien größer als sonst, vielleicht infolge des langen Seidenmantels, grau mit roten Paspeln, aus dessen aufgeschlagener Kapuze ihr klares Gesicht heute mit doppelter Frische hervorleuchtete. Denn die Fahrt war lang, und es ging eine scharfe Luft.
Der Flur umfing sie mit wohltuender Wärme; in dem altmodisch hohen Kamin, den die beiden Derfflingerschen Dragoner flankierten, brannte seit Stunden schon ein gut unterhaltenes Feuer.
Ein Diener in Jägerlivree, der seinen Hirschfänger zu tragen wußte, nahm ihnen die Mäntel ab und meldete, daß sich die Gräfin auf wenige Minuten entschuldigen lasse. Dies war die regelmäßig wiederkehrende Form des Empfanges. Lewin und Renate sahen verständnisvoll einander an und schritten durch das Billard- und Spiegelzimmer in den »Salon«. Sich selbst überlassen, traten sie hier an das in einer breiten und tiefen Nische befindliche Eckfenster, dessen untere Hälfte aus einer einzigen
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