Vor dem Sturm
genommen, und die Gräfin, abwechselnd an den einen oder andern ihrer Gäste sich wendend, teilte denselben mit, daß Baron Pehlemann wegen eines neuen heftigen Podagraanfalles abgeschrieben, Drosselstein aber – durch Geschäfte zurückgehalten – erst für 4 1/2 Uhr sein Erscheinen zugesagt habe. »Ich denke«, so schloß sie, »wir warten auf ihn. Der ersten Viertelstunde, die das Recht jeden Gastes ist, legen wir die zweite zu.« Alles verneigte sich, wenn auch unter geheimem Protest.
Eine solche Wartehalbestunde pflegt der Unterhaltung nicht günstig zu sein. Die Schweigsamen schweigen mehr denn je, aber auch die Beredten halten ängstlich zurück, unlustig, ihre vielleicht nur noch des Abschlusses harrende glänzende Anekdote durch die Meldung des eintretenden Dieners unterbrochen und zu ewiger Pointelosigkeit verurteilt zu sehen. Bamme gehörte dieser letzteren Gruppe an, bezwang sich aber und war der einzige, der den ersichtlichen Bemühungen der Gräfin hilfreich entgegenkam. Freilich nur mit teilweisem Erfolg. Über eine sprungweise Konversation kam man nicht hinaus, und die Fragen drängten sich, ohne daß eine rechte Antwort abgewartet wurde. Das Baron Pehlemannsche Podagra gab den dankbarsten Stoff. »Warum mußte er beim letzten Dachsgraben wieder zugegen sein? Ein Podagrist und zwei Stunden im Schnee! Warum riß er wieder den Rauenthaler an sich? Aber das ist so Pehlemannsche Bravour: ein freudiger Opfertod auf dem Altar der Gourmandise! Im übrigen, wo blieb ›Cedo majori‹? Warum hat er nicht seine Muse zitiert?«
»Er hat«, entgegnete die Gräfin und nahm aus einer vor ihr stehenden Alabasterschale ein zierlich zusammengefaltetes Billet. Aber die beiden Stutzuhren, auf deren gleichen Pendelgang Tante Amelie mit peinlicher Gewissenhaftigkeit hielt, schlugen eben halb, die gewährte Frist war um, und die Flügeltüren des hell erleuchteten Eßsaals öffneten sich pünktlich und lautlos nach innen zu.
Die Gräfin und Krach führten sich. In demselben Augenblick trat auch Drosselstein ein. Mit der Linken hinübergrüßend, wie um anzudeuten, daß er die Tischprozession nicht zu stören wünsche, bot er Renaten seinen Arm. Bamme und Lewin folgten, dann Medewitz. Rutze machte den Schluß.
Dieser, ein leidenschaftlicher Schnupfer, benutzte die Gelegenheit, um aus der stehengebliebenen Tabatiere der Gräfin zu naschen. Nicht ungestraft. Ehe er noch die Schwelle des Saales überschritten hatte, war schon das Gewitter herauf. Alles lachte, und Bamme rief: »Ertappt!« Nur Krach bewahrte wie gewöhnlich seine Haltung.
Fünftes Kapitel
Le diner
In dem Speisesaale herrschte, trotz Kaminfeuers, die im Eßzimmer sich ziemende niedrige Temperatur. An einem ovalen Tische war gedeckt. Die Gräfin saß, wie herkömmlich, zwischen Krach und Drosselstein, ihr gegenüber Renate. Jäger und galonierte Diener waren geschäftig; ein Kronleuchter brannte.
Der Graf überblickte, während er das Serviettentuch einknotete, den Saal, dessen architektonische Verhältnisse, durch einfache Ausschmückung unterstützt, auch heute wieder den angenehmsten Eindruck auf ihn machten. Es waren vier Stuckwände, gelblich getönt, von Goldleisten eingefaßt, am Plafond ein Deckenbild, das »Gastmahl der Götter« darstellend, eine Kopie nach dem bekannten Fresko der Farnesina. Krach und Rutze, wie sich klarmachend zum Gefecht, schoben die Gläser hin und her, Drosselstein aber wandte sich jetzt der Gräfin zu, um, nach einigen der Erbauerin des Saales und ihrem Geschmacke geltenden Verbindlichkeiten, nach dem Grafen Narbonne, dem ersten Adjutanten des Kaisers, zu fragen, der, wie die Zeitungen gemeldet, am Weihnachtsheiligabend auf seiner Rückkehr von Rußland beim Könige gespeist habe.
»Ich hörte davon«, erwiderte die Gräfin; »auch General Desaix war zugegen. Graf Narbonne, oh je me le rapelle très bien. Er gehörte dem alten Hofe an, war ein Liebling Marie Antoinettens und lancierte sich geschickt in das Empire hinüber, Wissen Sie, was ihm das Herz des Kaisers eroberte?«
Drosselstein verneinte.
»Eine Sache der Etiquette. Also eine Bagatelle, ein Nichts, wie die Leute von heute sagen würden. Aber die Parvenus sind auf keinem Gebiete so bereitwillig, zu lernen und zu belohnen, als auf diesem. Ich habe die Anekdote aus Graf Haugwitz' eigenem Munde. Es war unmittelbar nach der Kaiserkrönung, als Narbonne, damals Oberst, dem Kaiser eine Depesche überbrachte. Er ließ sich auf ein Knie nieder und
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