Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
von Vitzewitz gelten.
    Das Spiegelzimmer in seinem zurückgelegenen Teile wurde von drei rechtwinkelig zueinander stehenden Estraden eingenommen, die, mit Blumen und Topfgewächsen dicht besetzt, einen hufeisenförmigen Separatraum bildeten, der sich in den Trumeaux der gegenübergelegenen Fensterpfeiler spiegelte. Innerhalb dieses Raumes, um einen länglichen, auf vier Säulen ruhenden Marmortisch, der fast die Form eines Altars hatte, nahmen die Gäste Platz und waren, während die kleinen Tassen präsentiert wurden, alsbald in einem Gespräch, das an Lebhaftigkeit die kaum beendigte Tischunterhaltung noch übertreffen zu wollen schien. Berndt hatte das Wort, alles war begierig, von ihm zu hören, er hatte den Minister gesprochen.
    »Schlagen wir los?« fragte Bamme.
    »
Wir?
Vielleicht. Oder wenn
ich
zu entscheiden habe: gewiß! Aber die Herren im hohen Rate? Nein. Am wenigsten der Minister. Er treibt Diplomatie, nicht Politik. Unfähig, feste Entschlüsse zu fassen, sucht er das Heil in Halbheiten. Er spricht von ›Negociationen‹, ein Lieblingswort, das ihm noch aus alten Zeiten her auf den Lippen sitzt. Wir haben nichts von ihm zu erwarten. Er läßt uns im Stich.«
    »Ich glaubte dich anders verstanden zu haben«, bemerkte die Gräfin. »Er sei dir entgegengekommen.«
    »Entgegengekommen! Ja persönlich, und solange es sich um Worte handelte. Unter vier Augen schlägt er jede Schlacht. In der Idee sind wir einig: der Kaiser muß gestürzt, Preußen wiederhergestellt werden. Aber ?
wie?
Da werden die Herzen offenbar. Er will es auf dem Papier ausfechten, nicht mit der Waffe in der Hand am grünen Tisch, nicht auf grüner Heide. Er hat keine Ahnung davon, daß nur ein rücksichtsloser Kampf uns retten kann. Rücksichtslos und ohne Besinnen. Noch haben wir das Spiel in der Hand; aber wie lange noch! Es fehlt ihm das Erkennen der Wichtigkeit dieser Tage. Jede Stunde, die unbenutzt vorübergeht, schreit gen Himmel und klagt ihn an als einen Schädiger und Verräter. Nicht aus bösem Willen, aber aus Schwäche.«
    »Und schilderten Sie ihm die Stimmung des Landes?« fragte Drosselstein.
    »Gewiß, und mit einer Dringlichkeit, die jeden anderen fortgerissen hätte. Aber er! Als ich ihm unsere Gedanken eines Volksaufstandes entwickelte, als ich ihn beschwor, das Wort zu sprechen, erschrak er und suchte sein Erschrecken hinter einem Lächeln zu verbergen. ›Rüsten wir‹ rief ich ihm zu. Das gefiel ihm. Ich hatte jetzt selber das Wort gesprochen, durch das er mich in geschickter Ausnutzung, worin er Meister ist, zu beschwichtigen hoffte. Er trat mir näher und sagte mit geheimnisvoller Miene, meine Worte wiederholend: ›Vitzewitz, wir rüsten.‹ Aber auch dieses Nichts war ihm schon wieder zuviel. ›Wir rüsten‹, fuhr er fort, ›ohne höchstwahrscheinlich dieser Rüstungen zu
bedürfen
, Napoleon ist herunter, er muß Frieden machen, und wir werden ohne Blutvergießen zu unserem Zwecke kommen. Englands und Rußlands sind wir sicher.‹ Ich war starr. Wir trennten uns in gutem Vernehmen, scheinbar selbst in Einverständnis, während doch jeder die Kluft empfand, die sich zwischen unseren Anschauungen aufgetan hatte. Als ich die Treppe hinabstieg, sagte ich mir: ›Also
noch
nicht belehrt! Die Zeit
noch
nicht begriffen! Napoleon
noch
nicht kennengelernt!‹«
    Drosselstein, Bamme, Krach, den Unmut Berndts teilend, schüttelten den Kopf; Medewitz aber, der seiner Unbedeutendheit gern ein Loyalitätsmäntelchen umhing, glaubte jetzt den Moment zur Geltendmachung seiner ministeriellen Rechtgläubigkeit gekommen.
    »Ich kann Ihre Entrüstung nicht teilen, Vitzewitz, Ihre Hitze reißt Sie fort. Die Kuriere und Stafetten, die beinahe stündlich aus allen Hauptstädten Europas eintreffen – wissen wir, was sie bringen? Nein. Sie, wie wir alle, sehen die Dinge von einem Standpunkt mittlerer Erkenntnis aus. Der Minister aber hat jenen Überblick über die Gesamtverhältnisse, der uns fehlt. Er ist gut unterrichtet, ein Netz unserer Agenten umspannt Paris, der Kaiser ist auf Schritt und Tritt beobachtet. Wenn Seine Exzellenz ausspricht: ›Er ist herunter, er muß Frieden machen‹, so finde ich keine Veranlassung, dem zu widersprechen. Er ist Minister. Er muß es wissen, und verzeihen Sie, Vitzewitz, er weiß es auch.«
    Berndt lachte. »Es ist mit dem Wissen wie mit dem Sehen. Ein jeder sieht, was er zu sehen wünscht, darin sind wir alle gleich, Minister oder nicht. Seine Exzellenz wünscht den Frieden, und so

Weitere Kostenlose Bücher