Vor dem Sturm
Beauffremont, wußte von der Untreue der schönen Gabriele. Er sagte es dem Könige. Dieser aber bestritt es und wollt es nicht glauben; er liebte sie zu sehr. Der Graf erbot sich schließlich, den Beweis zu geben, und führte den König bis an das Schlafzimmer Gabrielens. In dem Augenblick, wo sie eintreten wollten, drehte sich le roi Henri um und sagte: ›Non, je ne veux pas entrer; cela la fâcherait trop.‹«
Medewitz, der selbst Trauriges erlebt hatte, bemerkte, daß er den König nicht begreife; die Gräfin aber fuhr fort: »In dieser Anekdote haben Sie den König tout à fait. Er hielt zu dem Wahlspruch, den Franz I. in ein Fenster zu Schloß Chenonceaux einschnitt:
Souvent femme varie
Et fol est qui s'y fie.
Überhaupt erinnert er an diesen König; nur übertrifft er ihn. Unser Geschlecht, in seinen Schwächen und seinen Vorzügen, ist nie besser verstanden, nie ritterlicher behandelt worden, und die Frauen aller Länder sollten ihm Bildsäulen errichten. Freilich würde es an Neidern nicht fehlen, wie sein eigenes Frankreich einen solchen erstehen sah.«
»Einen Neider?« fragte der in der französischen Memoirenliteratur glänzend bewanderte Graf und schien durch diese Frage einen Zweifel ausdrücken zu wollen.
»C'est ça«, fuhr die Gräfin fort, »und zwar in Gestalt seines eigenen Enkels, des ›grand monarque‹. Als die Stadt Pau ihrem geliebten Henri eine Statue errichten wollte, suchte sie bei Hofe darum nach. Ludwig XIV. sagte nicht ja und nicht nein, sondern schickte statt aller Antwort sein eigenes Bildnis. Aber er hatte den Witz der guten Bürger von Pau nicht gebührend mit in Rechnung gezogen. Diese richteten das Denkmal auf und gaben ihm die Inschrift: ›Celui-ci est le petit-fils de notre bon Henri.‹«
»Und wie lief es ab?« fragte Rutze, der, nach Kinderart, zwischen Anekdote und Erzählung keinen Unterschied machend, an dem Hergange selbst ein größeres Interesse nahm als an der Pointe. Die Gräfin lächelte.
»Es ist eine Erzählung ohne Schluß, lieber Rutze. Der König wird schwerlich von dieser Inschrift gehört, noch weniger sie gelesen haben. Es ist immer mißlich, solche Scherze zu hinterbringen. Übrigens sorgte gerade damals der Feldzug am Rhein für Aufregungen, die das Auge des Königs nach anderer Seite hin abzogen. Es war die Erntezeit seines Ruhmes, auch seines kriegerischen. Und doch war keine Spur von einem Feldherrn in ihm. Le bon roi Henri schlug die Schlachten, le grand roi Louis ließ sie schlagen; aber Dichter und Maler sind nicht müde geworden, Olymp und Heroenwelt nach Vergleichen für ihn zu durchsuchen.«
»Ich glaube gehört zu haben«, bemerkte Berndt, »daß er eines gewissen militärischen Talentes, wie es hohe Lebensstellungen sehr oft ausbilden, nicht entbehrte.«
»Graf Tauentzien war der entgegengesetzten Meinung. Und ich darf annehmen, daß seine Meinung übereinstimmend mit dem Urteil des Prinzen war.«
»Das Urteil des Königs würde mir kompetenter sein.«
Die Gräfin schwieg pikiert, aber nach kurzer Weile fuhr sie fort: »Du weißt, Berndt, daß der König selber aussprach: ›Le prince est le seul qui n'ait jamais fait de fautes.‹ Es scheint mir darin zugestanden, daß er in der Theorie des Krieges, in allem, was Wissen und Urteil angeht, der Bedeutendere war.«
Berndt zuckte. »Wer die Praxis hat, hat auch die Theorie. Was entscheidet, sind die Blitze des Genies.«
»Aber das Genie hat mannigfache Formen der Erscheinung. Der Prinz würde bei Hochkirch nicht überrascht worden sein.«
»Und bei Leuthen nicht gesiegt haben. Du überschätzest den Prinzen.«
»Du unterschätzest ihn.«
»Nein, Schwester, ich weise ihm nur die Stelle an, die ihm zukommt: die zweite. Zu allen Zeiten ist die Neigung dagewesen, in solchen Personalfragen die Weltgeschichte zu korrigieren. Aber Gott sei Dank, es ist nie geglückt. Das Volk, allem Besserwissen der Eingeweihten, allem Spintisieren der Gelehrten zum Trotz, hält an seinen Größen fest.«
»Aber es sollte de temps à temps diese Größen richtiger erkennen.«
»Gerade hierin erweist es sich als untrüglich, wenigstens das unsere, das in seiner Nüchternheit vor Überrumpelungen gesichert ist. Es zweifelt lange und sträubt sich noch länger. Aber zuletzt weiß es, wo seine Liebe und seine Bewunderung hingehört. Ich habe dies in den letzten Jahren des großen Königs, wenn Dienst oder Festlichkeiten mich nach Berlin riefen, mehr als einmal beobachten können.«
»Ich
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