Vor der Flagge des Vaterlands
Mündung der Neuze vor Anker lagen, eines Fahrzeugs, das unter Dampf oder unter Segel das Ergebniß der Entführung abwartete. Das Boot hat mich dahin gebracht; doch, ich wiederhole es, ich habe nicht die Empfindung gehabt, daß man mich über eine Schanzkleidung emporhißte. Vielleicht bin ich durch eine Stückpforte in den untern Raum befördert worden. Das ist jedoch ohne Bedeutung. Ob man mich nun auf den Grund eines Laderaums hinuntergeschafft hat oder nicht, jedenfalls befinde ich mich auf einem schwimmenden und beweglichen Bauwerke.
Ohne Zweifel wird mir die Freiheit bald wieder gegeben, ebenso wie Thomas Roch, vorausgesetzt, daß er ebenso fest eingeschlossen ist, wie ich Unter Freiheit verstehe ich nur das Zugeständniß, auf dem Deck des Schiffes nach Belieben umhergehen zu dürfen. Das wird aber vor einigen Stunden nicht zu erwarten sein, da es doch darauf ankommt, daß wir nicht gesehen werden. Wir werden freie Luft also nicht eher athmen, als bis das Schiff aufs offne Meer hinausgelangt ist.
Ist es ein Segelschiff, so wird es haben warten müssen, bis sich etwas Wind erhob, der Landwind, der mit Tagesanbruch einsetzt und die Fahrt über den Pamplicosund begünstigt. Wenn es freilich ein Dampfer wäre…
Doch nein; an Bord eines Dampfers verbreiten sich stets gewisse Ausdünstungen von der Steinkohle und Oelen, Gerüche aus dem Feuerraume, die auch bis zu mir gedrungen wären. Uebrigens hätt’ ich auch die Bewegungen der Schraube oder der Schaufelräder, das Zittern der Maschinen, das Stoßen der Dampfkolben fühlen müssen.
Das Beste ist also, sich in Geduld zu fassen; ich komme doch erst morgen aus diesem Loche heraus. Doch wenn man mich auch noch nicht befreit, wird man mir doch Nahrung bringen, denn welcher Grund läge dafür vor, mich hier Hungers sterben zu lassen? Dann hätte man mich auf den Grund des Stroms versenken können, statt mich an Bord zu nehmen. Sind wir erst auf hoher See, so hat ja niemand von mir etwas zu fürchten. Meine Stimme wird sich nirgends vernehmlich machen können; meine Einwendungen wären nutzlos und etwaige Vorwürfe noch nutzloser.
Was bin ich ferner für die Urheber dieses Ueberfalls? Ein einfacher Krankenwärter, jener bedeutungslose Gaydon. Nur Thomas Roch galt es, aus dem Healthful-House zu entführen. Ich… ich bin nur so nebenher mitgenommen worden. weil ich in jener Minute gerade nach dem Pavillon zurückkam.
Man packte mich an den Beinen und den Schultern. (S. 60)
Auf jeden Fall bleib’ ich, was auch kommen möge, wohin sie mich schleppen, wer auch die Leute seien, die diesen Streich ausgeführt haben, bei dem Entschlusse, meine Rolle als Wärter weiter zu spielen. Niemand, nein, niemand wird ahnen, daß sich unter dem Rocke Gaydon’s der Ingenieur Simon Hart verbirgt. Das bietet mir zweierlei Vortheile: erstens wird man einem armen Teufel von Krankenwärter nicht mißtrauisch entgegentreten, und zweitens kann ich vielleicht das Geheimniß dieses ganzen Unternehmens enträthseln und ausnutzen, wenn es mir einmal gelingt, zu entfliehen…
Doch wohin verirre ich mich? Ehe an eine Flucht zu denken ist, gilt es doch, erst am Ziele angelangt zu sein. Dann erst wird es Zeit sein, ein Entweichen zu wagen, wenn sich dazu Gelegenheit bietet. Bis dahin ist es wichtig, daß keiner erfahre, wer ich bin, und das wird niemand erfahren.
Jetzt unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß wir in Fahrt sind. Dabei komm’ ich wieder auf meine ersten Gedanken. Nein!… Das Schiff, das uns trägt, kann, wenn es kein Dampfer ist, auch kein Segler sein. Es wird unbedingt durch einen mächtigen Motor angetrieben. Zugegeben, daß ich die eigenthümlichen Geräusche einer Dampfmaschine, die eine Schraube oder ein Räderpaar in Bewegung setzt, nicht höre. Ich muß zugestehen, daß dieses Fahrzeug nicht durch das Hin-und Hergehen der Dampfkolben erschüttert wird. Es scheint sich vielmehr um eine fortlaufende, gleichmäßige Bewegung zu handeln, um eine Art directe Rotation die sich auf den Antriebsmechanismus, dieser sei nun, welcher es will, überträgt. Da ist kein Irrthum möglich, das Schiff wird durch einen eigenartigen Mechanismus bewegt. Doch durch welchen?… Sollte eine jener Turbinen in Frage kommen, von denen in letzter Zeit vielfach die Rede gewesen ist und die, im Innern eines eingetauchten Rohres arbeitend, bestimmt erscheinen, an Stelle der Schrauben zu treten, da sie den Widerstand des Wassers besser ausnützen und eine größere Geschwindigkeit
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