Vor der Flagge des Vaterlands
Vorgefallne von Anfang an vergegenwärtigen.
Nachdem ich aus dem Healthful-House von Männern auf den Armen weggetragen worden war, fühlte ich, daß man mich – übrigens mit einer gewissen Vorsicht – auf die Bänke eines Fahrzeugs niederlegte, das sich dabei zur Seite neigte, also nur klein gewesen sein kann… wahrscheinlich war es nur ein Boot.
Der ersten Schwankung folgte sofort eine zweite, die ich der Einschiffung einer andern Person zuschreibe. Ich kann also gar nicht zweifeln, daß es sich dabei um Thomas Roch handelte. Bei ihm konnte man von der Vorsicht absehen, ihm den Mund zu verschließen, die Augen zu verbinden und seine Arme und Beine zu fesseln. Er mußte noch so vollkommen erschlafft sein, daß er keinen Widerstand leisten konnte, und so bewußtlos, daß er gar nicht bemerkte, was mit ihm vorging. Den Beweis, daß ich mich nicht täuschte, liefert mir ein charakteristischer Geruch nach Aether, den ich auch unter meiner Binde wahrnahm. Ehe ich den Pavillon Nr. 17 verließ, hatte der Arzt aber dem Kranken einige Tropfen Aether eingeflößt und ich erinnere mich bestimmt, daß von der sich so leicht verflüchtigenden Flüssigkeit etwas auf seine Kleidung verschüttet worden war, als er sich auf dem Höhepunkte seines Anfalls heftig hin und her warf. Es ist also gar nicht zu verwundern, daß davon noch etwas an ihm haftete und mein Geruchsinn dadurch fühlbar erregt wurde. Ja, ja… Thomas Roch lag da neben mir ausgestreckt. Und wenn ich vorher nur wenige Minuten gezögert hätte, nach dem Pavillon zurückzukehren, so würde ich ihn darin gar nicht mehr gefunden haben.
Ich denke noch daran… warum mußte jener Graf d’Artigas die unglückselige Laune haben, das Healthsul-House zu besuchen? Wäre mein Pflegebefohlner ihm nicht in den Weg geführt worden, so wäre das alles nicht geschehen. Nur daß man mit ihm von seinen Erfindungen sprach, hat bei Thomas Roch diesen außergewöhnlich heftigen Anfall hervorgebracht. Der erste Vorwurf dafür trifft den Director, der meine Warnung nicht beachtete. Hörte er damals auf mich, so brauchte kein Arzt gerufen zu werden, um dem Patienten seine Hilfe angedeihen zu lassen. Die Thür wäre verschlossen geblieben und der Anschlag vereitelt gewesen…
Was das Interesse angeht, das die Entführung Thomas Roch’s zu Gunsten einer Privatperson oder eines der Staaten der Alten Welt haben könnte, so brauch’ ich mir darüber den Kopf nicht zu zerbrechen. Ich glaube, in dieser Beziehung ganz beruhigt sein zu können. Niemand würde da Erfolg haben, wo ich seit fünfzehn Monaten nichts erreicht habe. Bei der Stufe geistiger Umnachtung, zu der der französische Erfinder herabgesunken ist, muß jeder Versuch, ihm sein Geheimniß zu entlocken, erfolglos bleiben. Sein Zustand kann sich übrigens nur verschlimmern und zum vollen Wahnsinn auch auf dem Gebiete ausarten, wofür ihm bis heute noch ein Fünkchen Verstand übrig geblieben war.
Alles in allem handelt es sich in diesem Augenblicke aber nicht um Thomas Roch, sondern um mich selbst, und da kann ich Folgendes constatieren:
Nach einigem lebhaften Schwanken setzte das Boot sich, von Rudern getrieben, in Bewegung. Seine Fahrt dauerte kaum eine Minute. Dann erfolgte ein schwacher Stoß. Jedenfalls hatte das Boot dann, nach dem Zusammentreffen mit einem Schiffsrumpfe, beigelegt. Jetzt entstand eine geräuschvolle Bewegung. Ich hörte sprechen, commandieren… das Boot manövrierte… Trotz meiner Binde vernahm ich doch ein undeutliches Gemurmel von Stimmen, das fünf bis sechs Minuten andauern mochte.
Der einzige Gedanke, der dabei in mir aufkommen konnte, war der, daß man mich aus dem Boote nach dem Schiffe, wozu es gehörte, befördern und jedenfalls im Laderaum so lange einsperren würde, bis das betreffende Schiff sich auf offner See befand. So lange es noch auf dem Pamplicosund hinsegelte, würde es wohl niemand einfallen, Thomas Roch und seinen Wärter das Deck betreten zu lassen.
Noch immer geknebelt, packte man mich an den Beinen und den Schultern. Ich hatte nicht die Empfindung, daß fremde Arme mich über die Schanzkleidung eines Schiffes hoben, sondern die, daß man mich niederließ. Wollte man mich loslassen, mich ins Wasser stürzen, um sich von einem lästigen Zeugen zu befreien?… Dieser Gedanke schoß mir durch den Kopf und ein kalter Schauer durchrieselte mich vom Kopf bis zu den Füßen Unwillkürlich that ich einen tiefen Athemzug und meine Brust erweiterte sich von der Luft, die ihr
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