Vor der Flagge des Vaterlands
Dünung…?
Das ist unerklärlich… fast nicht glaublich… Doch wie, wenn ich mich nun doch getäuscht hätte… wenn ich nur das Opfer einer Illusion geworden wäre!… Bin ich etwa gar nicht im untern Raum eines fahrenden Schiffes eingeschlossen?…
Noch eine Stunde verstreicht, das Zittern von den Maschinen hat aufgehört. Das Fahrzeug, das mich davonträgt, muß jetzt still liegen… Sollte es schon seinen Bestimmungsort erreicht haben?… In diesem Falle könnte das nur einer der Häfen im Norden oder Süden des Pamplicosundes sein. Doch wie wäre es wahrscheinlich, daß der aus dem Healthsul-House geraubte Thomas Roch wieder auf dem Festlande abgesetzt werden sollte?… Die Entführung müßte da sehr bald bekannt werden und ihre Urheber setzten sich in einem der Häfen der Union der Gefahr aus, entdeckt zu werden…
Ist das Fahrzeug nun thatsächlich irgendwo eingelaufen, so muß ich doch das Rasseln der Ankerketten in den Klüsen hören, und wenn es der Anker von weiterem Forttreiben aufhält, muß es einen fühlbaren Ruck geben. Das kann bis dahin nur noch wenige Minuten dauern.
Ich warte… ich lausche…
Nichts… ein düstres, beunruhigendes Schweigen herrscht an Bord. Man möchte fast fragen, ob sich auf diesem Schiffe außer mir noch andre lebende Wesen befinden…
Jetzt umfängt mich eine lähmungsartige Schwäche… Die Luft ist zu schlecht geworden; ich kann kaum noch athmen… auf der Brust lastet es mir wie ein Bleigewicht, dessen ich mich nicht entledigen kann… Die Lider werden mir immer schwerer… schließen sich… ich verfalle einer furchtbaren Erschöpfung, die mich unwiderstehlich einschläfern wird…
Wie lange hab ich denn geschlafen? Ich weiß es nicht. Ist’s jetzt Tag oder Nacht?… Ich könnte es nicht sagen. Was ich aber zuerst wahrnehme, ist, daß meine Athmung leichter von statten geht. Jetzt füllen sich meine Lungen mit einer Luft, die nicht mehr wie vorher mit Kohlensäure überladen ist.
Ist die Luft, während ich schlief, erneuert worden?… Hat jemand den Behälter geöffnet?… Ist ein Mensch in meinem engen Kerker gewesen?…
Ja… hier hab’ ich den Beweis davon.
Ganz zufällig ergreift meine Hand einen Gegenstand… ein Gefäß, das mit einer Flüssigkeit gefüllt ist, die recht angenehm duftet. Ich setze es an meine brennenden Lippen, denn mich quält der Durst so entsetzlich, daß ich mich auch mit Brackwasser begnügt hätte…
O, das ist Ale, eine vortreffliche Sorte Ale, die mich erfrischt, wieder kräftigt und wovon ich eine ganze Pinte verschlinge…
Bin ich aber nicht verurtheilt, vor Durst umzukommen, so wird man mich doch wohl auch nicht dem Hungertode preisgeben wollen.
Nein… hier in einer Ecke steht ein Korb und der enthält ein Brot und ein Stück kaltes Fleisch.
Ich esse… esse begierig… und allmählich kommen mir die Kräfte wieder.
Ich bin also doch nicht so verlassen und vernachlässigt, wie ich gefürchtet hatte. Irgend jemand ist in dieses finstre Loch eingetreten und durch die Thür ist etwas von dem Sauerstoff der Außenluft eingedrungen, ohne den ich erstickt wäre. Ferner hat man mir etwas gebracht, um meinen Durst und Hunger bis zu der Stunde zu befriedigen, wo ich von hier herausgelassen werde.
Wie lange soll diese Einschließung aber noch dauern?… Stunden… Tage lang?…
Es ist mir weder möglich, die Zeit zu berechnen, die seit meinem Einschlummern verflossen ist, noch kann ich mit einiger Genauigkeit angeben, welche Zeit es jetzt sein mag. Meine Uhr hatt’ ich inzwischen zwar aufgezogen, sie hat aber kein Repetierwerk… Vielleicht, indem ich nach den Zeigern taste?… Richtig… Der kleine Zeiger scheint auf der acht zu stehen… jedenfalls des Morgens…
Sicher bin ich mir nur über das eine, daß das Schiff sich nicht mehr fortbewegt. An Bord fühlt man nicht mehr die leiseste Erschütterung… ein Beweis, daß die Maschinerie in Ruhe ist Inzwischen vergehen die Stunden… endlose Stunden, und ich frage mich, ob nicht die Nacht herankommen wird, ehe jemand aufs neue meinen Kerker betritt, um ihn so, wie während meines Schlafs zu lüften, mir Mundvorräthe zu bringen… Ja, ja, man wird das thun wollen, während ich wieder schlafe…
Diesmal bin ich aber fest entschlossen, mich nicht übermannen zu lassen… Ja, ich werde mich stellen, als ob ich schliefe… und wer dann auch hier hereintreten möge… ich werde ihn zu einer Antwort zu zwingen wissen!
Sechstes Capitel.
Auf dem Verdeck.
Da bin ich endlich in
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