Vor Nackedeis wird gewarnt
Passage auf derr Fähre, ja?«
Adele setzte die Kaffeetasse hin und schaute Colette scharf an.
»Ist irgend etwas passiert?«, fragte sie.
Bedrückt entgegnete Colette: »Nein. Isch muß schwachsinnig gewesen sein, aber passiert ist nischts.« Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen.
»Vielleischt isch möchte nach Ause, weil nischts passiert ist. Keine Sorge, Maman Anglaise, isch bin in Ordnung.«
Adele hätte gerne weitere Einzelheiten erfahren. Aber diese stille, fast abwesende Colette war unnahbar. Adele ertappte sich bei dem Gedanken, dieses Mädchen bei sich behalten zu wollen. Sie war an einen Wildfang gewohnt, aber dieses stille, nachdenkliche und freundliche Geschöpf war ein ganz anderer Mensch.
Bernie kümmerte sich um die Buchung der Überfahrt, und am Morgen des übernächsten Tages brachte er sie per Eisenbahn nach Dover und dort zur Kanalfähre. Colette küßte ihre englische Familie zum Abschied, weigerte sich aber, sich auch von den Nachbarn zu verabschieden. Adele hütete sich, sie dazu zu ermuntern.
Colette meinte: »Isch geh nach Ause, um ein bißchen nachsu-denken. Vielleischt isch komme surück. Aberr nischt sofort, nischt warr? Wiederrsehn, Adele, Maman Anglaise, Wiederrsehn, Andy, du kleinerr Teufel!«
Und sie ging und hinterließ eine fremdartige, unirdische Stille im Haus.
Auf dem Wege zum Bahnhof begegneten die beiden den ersten Wählern, die zur Urne gingen, und Colette lächelte wehmütig.
Sie sagte zu Bernie: »Wünschen Sie Richard viel Glück. Isch offe, er gewinnt die Wahl!«
Nur noch eine Bemerkung von Bedeutung machte sie. Und diese Bemerkung hielt sie zurück, bis sie, auf der Gangway des Fährschiffes stand.
Sie sagte: »Wiederrsehn, PèreAnglais. Schreiben Sie mirr schon einmal, ja? Und bitte schreiben Sie mir, wenn Michael nach Ollywood geht, vorerr komme isch nischt surück.«
Bernie winkte ihr nach, während das Fährschiff langsam aus dem Hafen auslief. Ob auch Colette zurückwinkte, wußte er nicht. Ihr Gesicht ging in der Menschenmenge unter, die sich an Deck drängte.
Zärtlich meinte er zu sich selbst: »Armer kleiner Teufel. Armes kleines Ding.«
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann leben sie noch heute
Adele stand in der Küche und bearbeitete energisch einen Teig. Sie klagte: »Alles ist so still. Ich kann einfach nicht glauben, daß sie nicht mehr da sein soll.«
»Aber wir haben noch Andy«, sagte Bernie, während er sein Kinn mit einem Rasiermesser abkratzte und in den Spiegel über dem Spülbecken starrte. Seinen Rasierpinsel in der Luft schwingend, deklamierte er: »Wir kamen hierher, weil du ständig klagtest, die Hetze und der Krach in London seien einfach nicht länger zu ertragen. Damals sagtest du, du wünschtest dir ein ruhiges Leben, in einer Landschaft, die eine Augenweide sein sollte. Du wolltest deinen überforderten Nerven und Gedanken endlich in diesem mörderischen zwanzigsten Jahrhundert die lebensnotwendige Ruhe schenken. Du wolltest selbstgebackenes Brot essen und den Meeresstrand entlanglaufen und Muscheln suchen.«
»Na, und?« fragte Adele.
»Das alles hast du hier«, erwiderte Bernie. »Seit Colette hier ankam, haben wir keine ruhige Minute gehabt. Wir sind mit einem Schiff gestrandet, sind in die Luft geflogen, fast im Gefängnis gelandet, und während keines dieser Ereignisse direkt Colettes Schuld war, muß ich doch darauf hinweisen, daß wir nicht gerade ein ruhiges Leben geführt haben. Colette ließ eine Bemerkung fallen, sie werde gerne Weihnachten wieder bei uns sein. Wenn das wahr ist, dann garantiere ich dir, daß die Weihnachtsgans sich vom Tisch erhebt, im Zimmer herumfliegt und allen Anwesenden ein Gänseei auf den Kopf legt. Ich mag Colette sehr, muß aber sagen, daß ich mich jetzt nach etwas wahrem Frieden und echter Ruhe sehne.«
Andy kam in die Küche und knallte die Tür unnachahmlich hinter sich zu.
Bernie schnaubte: »Menschenskind!« Er hatte sich zur Wand umgedreht, um mit seiner ausgiebigen Rasur fortzufahren, und für einen Augenblick gedacht, er habe sich den Kopf abgeschnitten. Er bückte sich und hob den zerbrochenen Spiegel auf.
Adele verschränkte ihre Arme und sagte kein Wort.
Bernie schaute zuerst Andy und dann den Spiegel an.
Er schlug vor: »Bitten wir Colette doch zu Weihnachten als Gast zu uns. Sie kann uns dann Andy als Weihnachtsschmaus servieren.«
Donald betrat das Wohnzimmer, Hand in Hand mit Susan.
»Haben Sie schon gewählt?« fragte er Bernie.
Würdevoll
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