Vor Vampiren wird gewarnt
ihre Auren zu etwas Flammendem an.
Ich versuchte, mich an all das zu erinnern, was ich über Farben und ihre Bedeutungen gelernt hatte, doch es war ein einziges Wirrwarr. Dieses Schamanenzeug raubte einem auf Dauer wirklich alle Kräfte, geistig und körperlich. Ich spürte, dass ich bald völlig erschöpft zusammensacken würde. »Zeit für das Urteil«, sagte ich und sah Alcide an, dessen leuchtend rotes Glühen unvermindert anhielt.
»Annabelle sollte bestraft, aber nicht aus dem Rudel ausgestoßen werden«, schlug Alcide vor.
Lautes Protestgeschrei erhob sich.
»Tötet sie!«, schrie Jannalynn mit grimmig-entschlossener Miene. Sie war nur allzu bereit, Annabelle selbst zu töten. Wusste Sam wirklich, fragte ich mich, was für ein grausam-wildes Ding er sich da als Freundin zugelegt hatte. Er schien so weit weg im Augenblick.
»Hört meine Begründung«, sagte Alcide ruhig. Die Unruhe im Salon klang langsam wieder ab. »Diesen beiden zufolge«, er zeigte auf Ham und Patricia, »besteht Annabelles Schuld allein in einem moralischen Vergehen:
Sie hat mit zwei Männern zur gleichen Zeit geschlafen, während sie einem erzählte, sie sei treu. Was sie Basim erzählt hat, wissen wir nicht.«
Alcide sagte die Wahrheit... zumindest die Wahrheit, so wie er sie sah. Ich betrachtete Annabelle und erfasste die ganze Person: die disziplinierte Frau, die bei der Luftwaffe war; die praktisch veranlagte Frau, die ihr Rudelleben und ihr restliches Leben unter einen Hut zu bringen versuchte; die Frau, die all ihre Vernunft verlor, wenn es um Sex ging. Im Augenblick war Annabelle regenbogenfarben, doch nirgends schien Glück durch, nur Erleichterung (im Weiß des Regenbogens) darüber, dass Alcide sie nicht töten wollte.
»Nun zu Ham und Patricia«, fuhr Alcide fort. »Ham ist der Mörder eines Rudelmitglieds und hat statt der offenen Herausforderung den Weg der Hinterhältigkeit gewählt. Das erfordert normalerweise eine harte Bestrafung, vielleicht sogar mit dem Tod. Wir sollten aber bedenken, dass Basim ein Verräter war - und das nicht nur als einfaches Rudelmitglied, sondern als Stellvertreter. Er war bereit, mit jemandem außerhalb des Rudels zu paktieren, gegen unsere Interessen zu handeln und den guten Namen einer Freundin des Rudels zu beschädigen.«
»Oh, das bin ich«, murmelte ich Jason zu.
»Und Patricia, die unserem Rudel Treue geschworen hat, hat diesen Schwur gebrochen«, sagte Alcide. »Deshalb sollte sie für immer ausgestoßen werden.«
»Leitwolf, das ist zu gnädig«, rief Jannalynn vehement. »Ham verdient eindeutig den Tod für seine Illoyalität. Ham auf jeden Fall.«
Eine Zeit lang herrschte Schweigen, dann setzten immer lauter werdende Diskussionen ein. Ich sah mich in dem großen Salon um: Überall die Farbe der Nachdenklichkeit (Braun natürlich), die sich in alle möglichen Schattierungen auffächerte, als die Atmosphäre sich aufheizte. Jason legte von hinten seine Arme um mich. »Du musst hier raus«, flüsterte er, und ich sah, dass seine Worte rosarot und geringelt waren. Er liebte mich. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, damit ich nicht laut loslachte. Wir zogen uns zurück, erst einen Schritt, dann zwei, drei, vier, fünf ... bis wir schließlich in der Eingangshalle standen.
»Wir müssen hier raus«, wiederholte Jason. »Wenn sie zwei gut aussehende Mädels wie Annabelle und Patricia umbringen, will ich nicht daneben stehen und mir das ansehen müssen. Und wenn wir nichts sehen, müssen wir auch nicht als Zeugen vor Gericht erscheinen, im Fall der Fälle.«
»Sie werden nicht lange diskutieren. Annabelle wird es überleben, glaube ich. Aber Alcide wird sich von Jannalynn überreden lassen, Ham und Patricia zu töten«, erzählte ich ihm. »Das sagen mir seine Farben.«
Jason starrte mich an. »Ich weiß ja nicht, was du da oben getrunken oder geraucht oder inhaliert hast, aber du musst hier jetzt schnellstens raus.«
»Okay.« Erst jetzt merkte ich, dass mir schon seit einiger Zeit nicht mehr gut war. War es vorhin nur Erschöpfung gewesen, so wurde mir jetzt plötzlich übel. Ich schaffte es zum Glück gerade noch bis in Alcides Vorgarten, bevor ich mich übergab. Und ich wartete auch gleich noch die zweite Welle ab, ehe ich zu Jason in den Pick-up stieg.
»Was würde Gran dazu sagen, dass ich einfach gehe, ohne die Folgen dessen abzuwarten, was ich getan habe?«, fragte ich ihn traurig. »Als Alcide nach dem Werwolfkrieg seinen Sieg feierte, bin ich auch gegangen. Ich weiß
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