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Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)

Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)

Titel: Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Frau Cunningham unterbrach ihn und sagte schnell: «Sie mögen ein guter Soldat und Seemann sein, Herr Behrens, aber in Dingen der Kunst sind Sie ein Banause, merken Sie sich das. Sie wissen nichts über den Unterschied zwischen einem Ereignis und einem Roman. Es steht Ihnen nicht zu, über ‹Robinson Crusoe› zu urteilen.» Sie schüttelte den Kopf und murmelte: «Unglaublich so etwas. Unglaublich.»
    Bob sagte: «Respekt, Frau Cunningham. Besser hätte ich es nicht sagen können.» Und an Behrens gewandt: «Sie werden verzeihen, aber Ihr offenes Wort über Defoe verdiente ein offenes Gegenwort.» Bob sah zu Frau Cunningham hin und schloß: «Dabei wollen wir es bewenden lassen.»
    Behrens stand auf: «Ich gehe zurück aufs Schiff. Achten Sie darauf, daß Sie vor der Dunkelheit auf die ‹Arend› gebracht werden.»
     
    Kapitän Koster ließ am zweiten Tag die Anker lichten, und die «Arend» nahm dank des Südostwindes schnell Fahrt auf.
    Frau Cunningham hatte zweimal bei der Familie des Leuchtturmwärters von San Juan de Bautista übernachtet. Zwei Stunden vor der Weiterreise war sie wieder an Bord gebracht worden. Zu Dr.   Clark sagte sie: «Die Primitivität dieser Leute ist unvorstellbar, aber wenigstens … na ja.»
     
    Später als damals kam Land in Sicht, das eine Insel war.
    «Wir sahen die Insel am Ostersonntag, 6. April», sagte Behrens «und nannten sie Paasch-Eiland. Am Tag darauf segelten wir ein wenig näher. Wir wollten einen Ankerplatz suchen. Noch zwei Meilen von der Insel entfernt kam ein Eingeborener in einem winzigen Boot auf die ‹Arend› zu. Er war vollkommen nackt. Wir nahmen ihn an Bord und gaben ihm ein Stück Leinwand als Lendenschurz. Eine Perlenkette schenkten wir ihm auch, und einen getrockneten Fisch. Er hängte sich alles um den Hals. Ein großer, starker braunhäutiger Mann. In den Ohrläppchen trug er große weiße Klötze, weshalb die Ohrläppchen bis auf die Schultern herabhingen. Auf seine Haut waren wunderliche Tiere gemalt und Vögel. Jemand gab ihm ein Glas Wein. Er nahm es und schüttete den Wein über seine Augen. Jetzt zogen ihm zwei Matrosen Kleider an und setzten ihm einen Hut auf. Er benahm sich so tölpisch, daß jedermann sehen konnte: dieser Mann hatte noch nie Kleider angehabt. Es wurde ihm Essen vorgesetzt, aber das Besteck benutzte er nicht; er aß mit den bloßen Fingern. Schließlich machten einige unserer Leute Musik. Da hüpfte und sprang er fröhlich umher.
    Kapitän Koster ging in gehöriger Entfernung vom Land vor Anker. Unseren Gast versorgten wir mit Geschenken und nötigten ihn, mit seinem Schiffchen an Land zu fahren.
    Am nächsten Morgen segelten wir in eine Bucht und ankerten. Zahllose Eingeborene kamen zu unserem Schiff geschwommen. Manche kamen in Booten und brachten gebratene Hühner.
    Wir sahen aus der Entfernung ihre gewaltigen Götzenfiguren, die wir auf gute 30 Fuß Höhe schätzten. Die Eingeborenen entzündeten vor ihren Götzen Feuer und schienen zu beten.
    Wieder einen Tag später, am frühen Morgen, brannten Hunderte Feuer in der Umgebung der Götzen; die Eingeborenen warfen sich zu Boden, dem Sonnenaufgang zugewandt.
    Erst am 10. April gingen wir an Land: rund 150 Soldaten und Matrosen, angeführt von Admiral Roggeveen, zu dem ich abkommandiert war, und ich habe als erster meinen Fuß auf die Insel gesetzt.
    Kaum waren wir einige Schritte gegangen, da wurden wir von Hunderten Eingeborener umringt. Wir mußten die Menge gewaltsam auseinandertreiben. Ein Insulaner versuchte, einem Soldaten das Gewehr zu entreißen. Mehrere Soldaten ließen sich in eine Prügelei mit Insulanern ein. Als die aber mit schweren Steinen warfen, da gaben unsere Leute Feuer.»
    «Na bravo!», sagte Frau Cunningham.
    «Admiral Roggeveen gefiel das auch nicht, aber was hätten unsere Leute tun sollen. Zehn Eingeborene wurden erschossen, darunter unser Gast, dieser große, starke braunhäutige Mann.
    Die Menge war verwirrt zurückgewichen. Nach kurzer Weile näherten sich Gruppen von zwei, drei Eingeborenen und boten uns Früchte an. Sie wollten ihre Toten haben.»
    «Wie lange sind Sie auf der Insel geblieben», fragte Hammerton.
    «Wenn es Abend wurde, gingen wir aufs Schiff. Am übernächsten Tag, 12. April, stach die ‹Arend› wieder in See.
    Wir mußten an diesen zwei Tagen erleben, daß die erschreckten Insulaner unter wirren Schreien große Mengen Früchte heranschleppten: Bataten, indianische Feigen, Nüsse, Zuckerrohr. Dazu lebende Hühner. Sie

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