Vorerst gescheitert – Wie Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Fall und seine Zukunft sieht
Landtagswahlen vor der Tür standen?
Viel zu viele politische Entscheidungen haben etwas mit Wahltagen zu tun. Das ist leider eine schwelende Krankheit.
|172| Hätte Ihre Partei auch mit einem Nein zum Atomausstieg bei den Wählern punkten können?
Hat sie denn mit diesem »Ja« gepunktet?
Man hätte aus wahltaktischer Perspektive also auch beim alten Kurs bleiben können?
Der Ausdruck »alter Kurs« führt in die Irre. Politik ist dazu aufgerufen, eine ständige Kursüberprüfung vorzunehmen. Und weil die Wählerschaft immer volatiler wird, die Bindungen an die Parteien lockerer werden oder sich ganz auflösen, ist die Herausforderung, der Politiker sich zu stellen haben, umso größer. Es ist also keine Schwäche von Politik, wenn sie ihren Kurs permanent justiert. Sobald sich die Winde drehen, müssen Sie auch die Segel anders setzen, um dann immer noch geradeaus zu segeln. Aber die Vermittlung der Koordinaten muss gelingen, und jeder Kurswechsel muss nachvollziehbar erklärt werden.
Was heißt das mit Blick auf den Atomausstieg?
Man hätte auch die andere Entscheidung treffen können. Aber ich habe mittlerweile eine gewisse Sympathie für den Ausstieg. Und ich glaube auch, dass er begründbar ist.
Welches Themenfeld würde eine neue Partei besetzen, die sich dauerhaft in der Mitte ansiedeln will?
Sie muss die Bereitschaft zeigen, die neuen Probleme zunächst einmal wahrzunehmen, statt alles sofort einer ideologischen Denkrichtung zuzuordnen. Beim Klimaschutz oder dem demographischen Wandel geht es nicht um Ideologie, sondern um eine Bestandsaufnahme und Fakten. Und die führen dann zu ziemlich bitteren |173| Erkenntnissen, die nach heutiger Lesart nicht wahlkampftauglich sind. Aber sie könnten wahlkampftauglich sein!
Welche Botschaft müsste dann im Wahlkampf vermittelt werden?
Nehmen wir die Demographie. Es erschließt sich heute im Grunde jedem Menschen, dass die bestehenden Sozialsysteme angesichts der demographischen Entwicklung nicht mehr finanzierbar sind. Trotzdem machen wir eine Art Milchmädchenrechnung. Wenn man sich die Lebenserwartung anschaut, wird sehr klar, dass nicht nur die ganz Jungen in wenigen Jahren hysterisch darüber lachen werden, wie grotesk es war, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre festzuschreiben. Diese Debatte wird kommen, und sie wird von den Jungen geführt werden, von den verbliebenen Jungen. Die werden einfordern, dass die Älteren sich weiterhin für die Gesellschaft engagieren, im Zweifel auch freiwillig. Und zwar über das 65. oder 67. Lebensjahr hinaus. Diese Debatte werden wir nicht erst im Jahr 2027 führen, sondern wahrscheinlich schon ab 2015, weil die Systeme sonst tatsächlich ins Kippen geraten.
Was würden Sie den Menschen also sagen?
Dass das heutige Rentensystem als solches nicht auf Dauer haltbar ist. Anders, als wir das von Wahltag zu Wahltag versprechen.
Welche Konsequenzen wären daraus zu ziehen?
Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass wir die jungen hoch qualifizierten Leute nicht aus dem Land treiben. Das würde die negative Entwicklung ja noch mal |174| beschleunigen. Auch wird die Generation der Babyboomer, die jetzt irgendwann in Rente gehen wird, zu einem Wertewandel in der Politik führen, weil sie sich natürlich erst mal nicht an der kommenden Generation ausrichtet, sondern eigene Interessen verfolgt. Das alles ist mit relativ klaren, nicht sehr angenehmen Botschaften verbunden. Aber wenn man mit den Menschen draußen spricht, dann merkt man: Jeder weiß das und spürt es in der eigenen Familie. Und jeder weiß, dass er eigentlich von Wahltag zu Wahltag die tollsten Dinge auf Hochglanzpapier vorgesetzt bekommt, die nicht den Realitäten entsprechen.
Was müsste diese neue Kraft der Mitte noch leisten?
Etwas, das auch die bisherige Mitte leisten könnte. Das Thema Klimawandel ist beispielsweise nicht auf eine grüne Partei beschränkt, die sich ja mittlerweile selbst längst in der Mitte wähnt.
Dort ist sie doch auch längst angekommen.
In Teilen. Die Grünen bringen aber auch immer wieder bemerkenswerte Irrlichter hervor. Heute behaupten Grüne, Klimaschutz gehöre zum Gründungsbesitz ihrer Partei, aber diese Thematik ist so evident, dass andere Parteien sie nicht vernachlässigen können. Sie können das jetzt nach der Fukushima-Debatte nicht einfach genügsam beenden. Es gibt jetzt beispielsweise die Bereitschaft, die Debatte um regenerative Energien zu führen. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht wieder verkümmert,
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