Vorerst gescheitert – Wie Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Fall und seine Zukunft sieht
wenn wir vor den nächsten Wahlen stehen.
Tun wir in Deutschland, gemessen an der Bedrohung, für den Klimaschutz immer noch zu wenig?
|175| Wir tun global viel zu wenig. Und in Deutschland sollten wir uns nicht ausruhen. Selbst die, die sich dieses Thema ursprünglich so sehr auf die Fahnen geschrieben haben, sind in meinen Augen eine bittere Enttäuschung.
Warum sind Sie von den Grünen enttäuscht?
Weil ich das Gefühl habe, dass sie sich mehr und mehr dem Machterhalt verschreiben und deshalb die für die Menschen unangenehmen Folgen einer konsequenten Klimaschutzpolitik umso mehr ausblenden, je näher der Wahltag rückt. Vor allem in internationalen Verhandlungen hätte Deutschland bereits unter einem Minister Trittin mit mehr Nachdruck auftreten müssen, anstatt sich am Dosenpfand abzuarbeiten.
Hat Sie Ihr Optimismus bei diesem Thema verlassen?
Nicht unbedingt. Man kann immer wieder feststellen, dass spätestens in Zeiten höchster Not viele Menschen in der Lage sind, große Schritte zu gehen und auf eine neue Entwicklungs- und Verständnisstufe zu klettern.
Es ist für uns alle ja auch eine gewaltige und nie dagewesene Aufgabe, bei politischen Entscheidungen im globalen Maßstab zu denken.
Das ist eine gewaltige Aufgabe, nicht nur mit Blick auf die Klimafrage. Globale Mechanismen wirken sich ganz konkret auf unser Leben aus. Das zu begreifen und zu thematisieren, wäre für mich Bestandteil jedes Zukunftsentwurfs einer Partei. Aber ich lese das nirgends. Es gibt dazu nur blasse und relativ nichtssagende Sprüche.
Was müsste konkret getan werden?
|176| Man darf sich nicht auf den gegenwärtigen Klimazielen ausruhen. Die werden nicht genügen, und man wird sie immer in Frage stellen. Man muss den Klimaschutzgedanken weltweit, aber auch in unserer Bevölkerung fester verankern.
Diese Bevölkerung hat doch aber, auch im internationalen Vergleich, ein sehr ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein.
Ja, aber es reicht nicht aus, dieses Bewusstsein wie eine Monstranz vor sich herzutragen, man muss es auch mal zeigen in anderen Zusammenhängen, um die sich die Politik nicht so kümmern kann. Da kann die Industrie genauso mitgehen. Es ist mehr leistbar und manche in der Wirtschaft begreifen das zu ihren Gunsten. Und mit dem Argument, ›wir tun doch schon so viel‹, hat man auch schon viel versaubeutelt.
Haben Sie sich in Ihrer Zeit als Minister immer unideologisch an den Realitäten ausgerichtet?
Die Frage der Bundeswehrreform war eine, die sich an den Realitäten ausgerichtet hat und nicht an ideologischen Traumbildern. Ich hatte ja selbst eine sehr romantische Vorstellung von der Wehrpflicht, die ich aber überwinden musste, weil sie mit der Realität nicht mehr vereinbar war. Im Grunde geht es darum, dass die Menschen ihre Realität zu reflektieren lernen und Verantwortungsbewusstsein entwickeln.
Muss man die Menschen nicht auch für irgendetwas begeistern können, statt ihnen nur zu sagen, wie schwierig es werden wird?
Ich wäre als Staatsbürger begeistert, wenn mir jemand eine ganz nüchterne, klare, harte Analyse geben und daraus |177| eine Perspektive entwickeln würde! Das kann durchaus eine sehr positive Stimmung auslösen. Es geht ja nicht darum zu drohen, es geht darum, etwas zu bestätigen, was Tatsache ist und was die meisten Menschen spüren.
Was müsste einer Kraft der Mitte zum Thema Integration einfallen?
Nicht in Blaupausen zu denken, weil die als solche nicht tragfähig sind. Dann würde ihr einfallen, dass weder Berlin-Neukölln noch der oberfränkische ländliche Raum allein maßgeblich sein können für eine stimmige deutsche Integrationspolitik. Wahrscheinlich müsste man hier auch mittlerweile mit einem sehr viel weiteren, europäischen Gedanken ansetzen. Ich glaube, dass man einen sehr gesunden Patriotismus mit einem ausgesprochen europäischen Ansatz verbinden kann, auch mit Blick auf die Integration. Man wird sich auch hier mit den Realitäten auseinandersetzen müssen und darf sich jedenfalls nicht reflexartig abschotten.
Würden Sie sagen, dass die sogenannte bürgerliche Mitte auch deshalb verunsichert ist, weil sie sieht, dass sich bestimmte Warnungen der Linken vor dem Kapitalismus nun bewahrheiten? Ich denke zum Beispiel an eine Intervention Frank Schirrmachers in der FAZ, unter der Überschrift: »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat.«
Ja, das war ein bemerkenswerter Beitrag! Ich spüre diese Verunsicherung auch, aber sie beschränkt sich meiner
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