Vorhofflimmern
jetzt?
Verdammter Mist, ich wollte nicht länger warten. Ich musste
jetzt wissen, was er zu meinen Vorwürfen zu sagen hatte. Erst dann würden die
Worte seines Briefes ihre wahre Bedeutung zeigen.
Ich wählte seine Nummer noch drei Mal, bevor ich schließlich
frustriert aufgab und mir erst einmal einen Kaffee von Hans zubereiten ließ,
während ich mein weiteres Vorgehen plante.
Eigentlich blieb mir nicht viel übrig, als meine Schicht zu
beenden und danach direkt zu Desiderio zu fahren.
Genau. Das würde ich tun. Ich würde zu ihm fahren, an seiner
Tür klingeln und ihn von Angesicht zu Angesicht zur Rede stellen.
Ja, es fühlte sich wirklich gut an, einen Plan zu haben. Er
bot einen Blick in die Zukunft, wenn auch einen ungewissen, aber plötzlich
erschien die Gegenwart nicht mehr ganz so trostlos.
Voller Eifer machte ich mich an die Arbeit, um die Zeit bis
zum Schichtende einigermaßen sinnvoll zu nutzen. Und natürlich auch, damit mein
Arbeitgeber meinen Lohn nicht direkt zum Fenster hinaus pulverte.
Je später es wurde, umso unruhiger
wurde ich. Weshalb genau, konnte ich beim besten Willen nicht sagen. Irgendwie
hatte ich nicht den Eindruck, dass dies alleine an meinem Vorhaben lag, heute
Abend zu Desiderio zu fahren.
Es war, wie an einem schwülen Sommertag, kurz bevor sich ein
heftiges Gewitter zusammenbraute. Genauso schien die Luft um mich herum zu
flimmern.
Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. So sehr, dass mir direkt
etwas schwindelig wurde.
„Schwester Lena, Schockraum vorbereiten. In 10 Minuten kommt
ein Verkehrsunfall“, orderte Heimer im Vorbeigehen.
Ohne weitere Fragen ging ich meiner Aufgabe nach. Ich
forderte den Narkosearzt mit zugehörigem Fachpfleger an, ließ das CT bereitstellen
und gab im Labor Bescheid.
Kaum war ich fertig mit telefonieren, eilte auch schon der
Narkosearzt herein. Gleichzeitig rumpelte der Rettungswagen in die Garage. Lisa
und Oberarzt Heimer standen mit erwartungsvoller Konzentration neben der
Unfallliege. Ich trabte mit dem Assistenzarzt auf den Flur, um den Sanitätern
ein wenig entgegen zu kommen.
Sie preschten herein und brachten sofort die typische Hektik
eines brisanten Notfalls mit sich. Schon von weitem hörte ich den rasenden Puls
des Verletzten, der an einem mobilen Monitor angeschlossen war. Die
Geschwindigkeit des Herzschlags ging weit über normale Aufregung hinaus, hier
stand der gesamte Kreislauf vor einem totalen Kollaps.
Der Notarzt rief uns die ersten Informationen entgegen.
„Verkehrsunfall. Patient war fast eine Stunde eingeklemmt. Gesicherte, offene
Unterschenkelfraktur mit hohem Blutverlust. Weitere Verletzungen unklar. Bei
unserem Eintreffen war er noch ansprechbar und Kreislauf stabil. Seit kurzem
verliert er immer wieder das Bewusstsein und der Blutdruck sackt immer weiter
ab.“
Nun, das erklärte den hohen Puls. Das Herz versuchte durch
die Pumpgeschwindigkeit den Volumenverlust auszugleichen. Der Patient brauchte
dringend Blutkonserven, um den Kreislauf wieder zu stabilisieren.
Ich hielt der Gruppe die Tür zum Schockraum auf und sah zum
ersten Mal auf den Patienten selbst. Ich erstarrte zur Salzsäule und riss
ungläubig die Augen auf.
Der dunkelhaarige Mann auf der Trage kam mir vage bekannt
vor.
„Meine Güte“, hörte ich Heimer ausrufen. „Ist das
DiCastello?“
Ich taumelte und musste mich am Türrahmen festhalten.
Konnte das wirklich sein? War das tatsächlich Desiderio, oder
sah er ihm nur ähnlich?
Der Notarzt machte meine letzten Hoffnungen zunichte. „Ja, er
hat erzählt, dass er hier arbeitet.“
Oh mein Gott.
Völlig unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, blickte ich
wie in Trance auf das Gewusel vor mir.
Sieben Leute packten mit an und hievten Desiderio von der
Trage des Rettungsdienstes auf unsere Unfallliege. Als die Sanitäter
beiseitetraten, konnte ich erstmals das ganze Ausmaß der Verletzungen erkennen.
Sein Kopf wurde von einer Plastikhalskrause stabilisiert, die
den größten Teil seines Gesichts verdeckte. Der restliche Teil davon war mit
Streifen eingetrockneten Blutes überzogen, das aus mehreren kleinen Wunden
hervorgesickert war. Vermutlich Schnitte von einer zerbrochenen
Windschutzscheibe.
Diese kleinen Schnitte verteilten sich auch über seinen
gesamten Oberkörper. Man hatte ihm das Shirt zerschnitten, um freien Zugang zum
Brustkorb zu bekommen. Schon jetzt konnte man deutliche Prellmarken des
Sicherheitsgurtes erkennen.
Sein linkes Hosenbein war bis zur Hüfte aufgetrennt
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