Vorkosigan 01 Die Quaddies von Cay Habitat
Informationen gehen mich nichts an. Aber wir
haben in letzter Zeit ein Problem mit… hm… Romanen gehabt.«
Leo hob die Augenbrauen und grinste. »Pornographie? Ich weiß nicht, ob ich mir darüber Sorgen machen würde. Als ich ein Junge war, da tauschten wir…«
»Nein, nein, nicht Pornographie. Ich bin mir nicht sicher, ob die Quaddies Pornographie überhaupt verstehen würden. Die Sexualität ist hier ein offenes Thema, Teil ihrer Sozialerziehung. Biologie. Ich machte mir viel mehr Sorgen über Literatur, die falsche oder gefährliche Werte in attraktive Farben kleidet, oder über voreingenommene Geschichtsdarstellungen.«
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Leo runzelte zunehmend bestürzt die Stirn. »Haben Sie diesen Kindern keine Geschichte beigebracht? Oder sie keine Erzählungen lesen lassen…?«
»Natürlich ja. Die Quaddies sind mit beidem gut versorgt. Es geht einfach um die richtigen Proportionen. Zum Beispiel: eine typische, für Planetenbewohner geschriebene Geschichtsdarstellung der Besiedlung von Orient IV widmet gewöhnlich etwa fünfzehn Seiten dem Jahr des Bruderkrieges, einer zeitweiligen, wenn auch bizarren, gesellschaftlichen Verirrung – und etwa zwei den tatsächlich rund hundert Jahren, die die Besiedlung und Erschließung dieses Planeten gedauert hat. Unser Text widmet dem Krieg nur einen Abschnitt. Aber der Bau der Einschienenbahn über den Graben von Witgow zusammen mit seinen nachfolgenden nützlichen ökonomischen Auswirkungen auf beide Seiten erhält fünf Seiten. Kurz gesagt, wir betonen eher das Gemeinsame als das Seltene, eher Aufbau als Zerstörung, das Normale auf Kosten des Abnormalen. Damit die Quaddies nie auf die Idee kommen, daß irgendwie von ihnen das Abnormale erwartet würde.
Wenn Sie die Texte einmal lesen, dann werden Sie das Prinzip sehr schnell begreifen, glaube ich.«
»Ich… hm – ja, ich glaube, das sollte ich wohl«, murmelte Leo.
Der Grad von Zensur, dem – nach Yeis kurzer Beschreibung zu schließen – die Quaddies unterworfen waren, erzeugte bei ihm eine Gänsehaut – und doch, die Vorstellung eines Geschichtsbuches, das ganze Kapitel großen Ingenieurleistungen widmete, weckte in ihm den Wunsch aufzustehen und ›hurra‹ zu rufen. Er verbarg seine Verwirrung hinter einem höflichen Lächeln. »Ich habe wirklich nichts an Bord mitgebracht«, erklärte er besänftigend.
Sie nahm ihn mit zu einer Besichtigung der Wohnquartiere und der beaufsichtigten Krippen der jüngeren Quaddies.
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Die Kleinen machten Leo staunen. Sie schienen so viele zu sein
– vielleicht einfach nur, weil sie sich so schnell bewegten. Etwa dreißig Fünfjährige hüpften im gravitationsfreien Turnraum wie ein Hagel verrückter Pingpongbälle umher, als ihre Krippenmutter, eine pummelige angenehme Planetarierin, die sie Mama Nilla nannten und der einige Quaddiemädchen im Teenageralter assistierten, sie aus der Lesestunde entließ. Aber dann klatschte sie in die Hände und stellte Musik an, und die Kleinen begannen mit einem Spiel oder einem Tanz (Leo war sich nicht sicher, was es genau war). Dabei warfen sie ihm viele Seitenblicke zu und kicherten. Es ging darum, in der Luft ein Duodekahedron zu bilden, wie eine menschliche Pyramide, nur komplexer, und dann im
Rhythmus der Musik von Hand zu Hand die Formation zu ver
ändern. Enttäuschte Schreie ertönten, wenn jemand sich vertat und die Formation der Gruppe störte. Wenn die Perfektion erreicht war, dann hatten alle gewonnen. Das Spiel gefiel Leo spontan. Dr. Yei beobachtete, wie Leo lachte, als die jungen Quaddies ihn danach umschwärmten, und sie schien zufrieden zu schnurren.
Aber am Ende des Rundgangs musterte sie ihn und verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln. »Mr. Graf, Sie sind immer noch beunruhigt. Sind Sie sicher, daß Sie all dem gegenüber nicht einfach noch etwas von dem alten Frankenstein-Komplex hegen? Es ist völlig in Ordnung, wenn Sie es mir eingestehen – tatsächlich möchte ich sogar, daß Sie darüber reden.«
»Darum geht es nicht«, sagte Leo langsam. »Es ist einfach….
nun ja, ich kann wirklich nichts dagegen einwenden, daß Sie versuchen, die Quaddies so gruppenorientiert wie möglich zu erziehen, in Anbetracht der Tatsache, daß sie ihr ganzes Leben auf dichtbewohnten Raumstationen verbringen werden. Für ihr Alter sind sie in hohem Grad diszipliniert, auch gut…«
»Entscheidend für ihr Überleben, in einer Weltraumumgebung!«
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»Ja… aber wie steht es – mit ihrer Selbstverteidigung?«
»Diesen
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