Vorkosigan 01 Die Quaddies von Cay Habitat
Szenarios der feindlichen Übernahme gesehen. Er blickte durch das Fenster auf die großen, von Aktivität strotzenden, funktionierenden Anlagen, die schwer errungenen Resultate von zwei Generationen ehrlicher Arbeit, und er stöhnte innerlich bei dem Gedanken, welche Verwüstung hier stattfinden würde. Nach dem entsetzten Ausdruck auf Chalopins Gesicht zu schließen, hatte sie gerade eine ähnliche Vision, und Leo konnte ihre Gefühle verstehen. Wieviel Herzblut hatte sie in den Aufbau dieses Ortes investiert? Wievieler Leute Schweiß und Hingabe, die jetzt mit einem Federstrich abgetan wurden?
»Das war immer unser Problem, Leo«, sagte Van Atta ziemlich gehässig. »Sie verbeißen sich immer in die kleinen Details und verlieren den großen Überblick.«
Leo schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären und
suchte nach dem verlorenen Faden seiner ursprünglichen Argumentation. »Trotzdem, die Wirtschaftlichkeit des Cay-Projekts …« Er verstummte abrupt, als eine atemberaubende Eingebung, so zart wie eine Seifenblase, von ihm Besitz ergriff.
Mit einem Federstrich. Konnte Freiheit mit einem Federstrich gewonnen werden? So einfach? Er betrachtete Apmad mit einer 124
neuen, mindestens zwei Größenordnungen stärkeren Intensität.
»Sagen Sie, Frau Vizepräsidentin«, formulierte er vorsichtig, »was geschieht, wenn die Wirtschaftlichkeit des Cay-Projekts widerlegt wird?«
»Dann machen wir es zu«, sagte sie einfach.
Oh, was er hier aus der Schule plaudern könnte – und als zusätzlichen Bonus würde er Brucie-Baby für immer ruinieren… –
Leo war elektrisiert. Er öffnete den Mund, um Zerstörung auszuspucken …
Und klappte ihn sofort wieder zu, saugte an seiner Zunge, betrachtete seine Fingernägel und fragte statt dessen beiläufig: »Und was geschieht dann mit den Quaddies?«
Die Vizepräsidentin runzelte die Stirn, als hätte sie in einen sauren Apfel gebissen: wieder diese verborgene Spannung, der stärkste Ausdruck, den Leo bis jetzt auf ihrem Gesicht gesehen hatte. »Das ist das schwierigste Problem von allen.«
»Schwierig? Warum schwierig? Lassen Sie sie einfach gehen.
Tatsächlich«, Leo bemühte sich, seine zunehmende Erregung
hinter einem ausdruckslosen Gesicht zu verbergen, »wenn GalacTech sie auf der Stelle gehen ließe, vor dem Ende dieses Steuerjahres, dann könnte die Firma immer noch das, was sie als Investition in die Quaddies ansehen möchte, als steuerlich wirksamen Verlust mit den Gewinnen von Rodeo verrechnen. Ein letzter Hieb gegen Orient IV sozusagen, ein letzter Happen, den man ihnen wegschnappt.« Leo lächelte gewinnend.
»Sie wohin gehen lassen? Sie scheinen zu vergessen, Mr. Graf, daß die meisten von ihnen noch bloße Kinder sind.«
Leo zögerte. »Die älteren könnten bei der Betreuung der jüngeren helfen, das tun sie ja schon, einige … Vielleicht könnte man sie für ein paar Jahre in einen anderen Sektor verlegen, der den 125
Verlust aus ihrem Unterhalt schlucken könnte – es dürfte GalacTech nicht so viel mehr kosten, wie die gleiche Anzahl von Arbeitern in Rente, und das nur für ein paar Jahre …«
»Der Betriebsrentenfonds ist autark«, bemerkte Gavin der
Buchhalter. »Im Rollover-Verfahren.«
»Eine moralische Verpflichtung«, brachte Leo verzweifelt vor.
»Sicherlich muß GalacTech eine gewisse moralische Verpflichtung ihnen gegenüber eingestehen – wir haben sie ja schließlich geschaffen.« Jetzt betrat er schwankenden Boden, wie er an ihrem Gesicht ablesen konnte, in dem sich kein Mitgefühl zeigte, aber er konnte noch nicht erkennen, in welche Richtung der Boden sich neigen würde.
»Moralische Verpflichtung allerdings«, stimmte Apmad zu und ballte die Fäuste. »Haben Sie die Tatsache übersehen, daß Dr. Cay diese Kreaturen fortpflanzungsfähig geschaffen hat? Sie sind eine neue Spezies, wissen Sie; er hat sie Homo quadrimanus genannt, nicht Homo sapiens Unterart quadrimanus. Er war der Genetiker; wir dürfen annehmen, daß er wußte, worüber er sprach. Wie steht es mit GalacTechs moralischer Verpflichtung gegenüber der menschlichen Gesellschaft als Ganzem? Was meinen Sie, wie sie reagieren wird, wenn diese Kreaturen und all ihre Probleme einfach ihr aufgehalst werden? Falls Sie meinen, daß die Öffentlichkeit auf chemische Umweltverschmutzung überreagiert, dann stellen Sie sich einmal die Aufregung über genetische Verunreinigung vor!«
»Genetische Verunreinigung?«, murmelte Leo und versuchte,
diesem Begriff eine
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