Vorkosigan 01 Die Quaddies von Cay Habitat
meine Krippeneinheit eine zusätzliche Assistentin angefordert. Vielleicht wird man nachgeben, wenn man einsieht, daß diese Narretei Geld kostet. Das kannst du Ciaire sagen, meine ich.«
»Ja«, sagte Silver, »ein bißchen Hoffnung täte ihr gut.«
Mama Nilla seufzte. »Das ganze ist mir so unangenehm. Was ist überhaupt in diese Kinder gefahren, daß sie versuchen, wegzulaufen? Ich könnte Tony packen und schütteln. Und was diesen dummen Wachmann angeht, den könnte ich einfach … na ja …«
Sie schüttelte den Kopf.
»Haben Sie noch mehr über Tony gehört, was ich an Ciaire
weitererzählen könnte?«
»Ach ja.« Mama Nilla blickte den Korridor hinauf und hinab, um sicherzugehen, daß niemand mithörte. »Dr. Minchenko hat mich gestern Abend über den persönlichen Kanal angerufen. Er hat mir versichert, daß Tony jetzt außer Gefahr ist und daß man diese Infektion unter Kontrolle hat. Aber er ist immer noch sehr 172
schwach. Dr. Minchenko hat vor, ihn wieder ins Habitat zurückzubringen, wenn er seinen Schwerkrafturlaub beendet. Er meint, Tony wird sich hier oben schneller erholen. Das ist also ein bißchen gute Nachricht, und die kannst du an Ciaire weitererzählen.«
Silver rechnete, und mit ihren unteren Fingern zählte sie unauffällig unterhalb von Mama Nillas Gesichtskreis die Tage, dann atmete sie erleichtert auf. Das war ein massives Problem gewesen, und sie konnte jetzt Leo mitteilen, daß es gelöst war. Tony würde zurück sein, bevor ihre Revolte an die Öffentlichkeit drang. Seine sichere Rückkehr würde vielleicht sogar das Signal für die Revolte werden. Ein Lächeln strahlte auf ihrem Gesicht. »Danke, Mama Nilla, das ist eine gute Nachricht.«
Kurs 101: Revolution für die Verwirrten, so sollte der Titel seines Kurses sein, entschied Leo grimmig. Oder noch schlimmer: Kurs 050: Revolution als Fördermaßnahme …
Die Schar der Quaddies, die ihn im Unterrichtsmodul erwartungsvoll umschwebten, war offiziell durch die beiden dienstfreien Schubschiffmannschaften verstärkt worden; dazu kamen alle
schichtfreien älteren Quaddies, die Silver hatte heimlich kontaktieren können. Insgesamt waren es sechzig oder siebzig. Sie hatten sich alle in das Unterrichtsmodul gezwängt, was Leo geistig vorauseilen und an Pläne über Sauerstoffverbrauch und -erneuerung im rekonfigurierten Habitat denken ließ. Es lag eine Spannung in der Luft. Gerüchte machten schon die Runde, wie Leo erkannte, in Gott weiß welchen verzerrten Formen. Es war an der Zeit, Gerüchte durch Tatsachen zu ersetzen.
Silver gab an der Tür ein Zeichen, daß alles klar war; sie hielt alle vier Daumen nach oben und grinste Leo zu, während ein letzter Quaddie in einem T-Shirt sich hastig hereinzwängte. Die 173
Tür schloß sich und verdeckte Silver, die auf dem Korridor Wache schob.
Leo nahm seinen Posten in der Mitte ein. In der Mitte, der Nabe des Rades, wo sich die Belastungen am stärksten konzentrieren.
Nach ein bißchen anfänglichem Geflüster und Geknuffe verstummten die Quaddies, und es herrschte eine fast beängstigende Aufmerksamkeit. Er konnte ihre Atemzüge hören. Wir würden Sie brauchen, selbst wenn Sie kein Ingenieur wären, Leo, hatte Silver bemerkt. Wir alle sind zu sehr daran gewöhnt, Befehle von Leuten mit Beinen entgegenzunehmen.
Willst du damit sagen, daß du einen Strohmann brauchst? hatte er amüsiert gefragt.
Nennt man das so? Sie hatte ihn dabei ganz kühl pragmatisch angeblickt.
Er wurde zu alt dafür. Sein Gehirn schaltete auf einen fernen Rockrhythmus um, zurück zur lärmenden Musik seiner Jugend.
Laß mich dein Strohmann sein, Baby. Ruf mich Leo. Ruf mich jederzeit, am Tag oder bei Nacht. Laß mich dir helfen. Er schaute auf die geschlossene luftdichte Tür. Zog der Mann, der an der Spitze des Zuges den Taktstock schwenkte, die anderen hinter sich her – oder wurde er von ihnen vorangeschoben? Er hatte das unbehagliche Gefühl, daß er die Antwort bald erfahren würde. Er knurrte leise und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Unterrichtsraum.
»Wie einige von euch schon gehört haben«, begann Leo, und
seine Worte fielen wie Kieselsteine in den Teich des Schweigens,
»ist von den Außenplaneten eine neue Schwerkrafttechnologie gekommen. Sie basiert anscheinend auf einer Variation der
Necklinfeld-Tensorgleichungen, der gleichen Art Mathematik, die der Technologie zugrundeliegt, die wir benutzen, um durch jene 174
Verbiegungen des Raumzeitgefüges zu stoßen, die wir
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