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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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der Lack so dick auf ihr glänzte. Es stand auch ein Spruch darauf, in zwei Sprachen, und die eine war Latein, was ich bald lernen würde, so hieß es. Lesen konnte ich sie schon, diese beiden Sätze auf der Tür, hinter der mein Vater für den ganzen Tag verschwand, und ich las sie jeden Tag in alle Richtungen.
    Hoc loco est angelus, panis, vino, oliva.
    Hier finden Sie Engel, Brot, Oliven und Wein.
    Beide Sätze waren in geschwungener Schrift in brüchigem Gold eingelassen. Ich hatte diese Worte oft zerteilt, die Buchstaben verschoben, ihre einzelnen Formen studiert, lange bevor ich überhaupt die Laute dazu bilden und langsam vor mich hersagen konnte. Die Bedeutung aller hier versammelten Wörter kannte ich noch nicht, einige verstand ich, was natürlich nicht bedeutete, dass ich den Satz verstand. Es war wie ein Spiel, das ich mit den Sätzen hatte und das ich für gewöhnlich spielte, während ich allein meinen Zuckerkaffee trank.
    Der Großvater hatte sein Zimmer neben der Küche, die Tür ging in den Garten auf der anderen Seite hinaus, den er zwischen den niedrigen Mauern angelegt hatte, die einst den Misthaufen halten mussten. Er stand viel früher auf als wir anderen und legte sich dann am Vormittag wieder hin, zu seinem zweiten Schlaf, der etwa bis ein Uhr dauerte und in dem ich ihn nicht stören durfte. Wenn mein Vater verschwunden war, war ich so für einige Stunden mir selbst überlassen. Auch etwas, das meinen Vater vermutlich erstaunt hätte, hätte man es ihm je erzählt. Es ist gut möglich, dass er dachte, ich würde in dieser Zeit ebenfalls zur Arbeit gehen. Ich aber saß auf der Ofenbank in der Küche, las die beiden Sätze, ohne lesen zu können, und tat Tag für Tag so, als würde ich sie zum ersten Mal sehen und nicht wissen, welches der lateinische und der deutsche Satz ist. Ich wechselte einzelne Wörter und Silben aus, bildete Lautketten aus goldener Schnörkelschrift, aber nichts davon brachte mir den geheimen Zauber dieser Inschrift näher. Es war ein ewiges, anziehendes Rätsel, das dort an der Tür stand, ich konnte es nicht oft genug lesen, und es löste immer einen herrlichen Schauder aus. Das Radio meines Vaters war durch die Tür zu hören, es war ein Weltempfänger, der so lange lief, wie mein Vater arbeitete, und wenn er auf Reisen ging, packte er ihn als Erstes ein. Was er hörte, blieb für mich verborgen, nicht nur weil das alte Holz dick war, sondern weil das Programm auch in einer Sprache kam, die ich nicht kannte. Es waren ausländische Radiosender, er verstand Englisch, Spanisch und Italienisch, und diese Sprachen sind für mich bis heute die Küche in Pildau und die Tür zum alten Kuhstall, in dem sich mein Vater jeden Tag einschloss, um zu arbeiten. Dort begann eine Fremde, das hatte ich sehr früh verstanden, in die auch der Reiseritter Robert nie gelangte.
    Wenn ich gesagt habe, dass ich diesen sechsten Geburtstag vollständig erinnere, dann nehme ich das zurück, denn ich weiß tatsächlich nicht genau, was ich am Nachmittag gemacht habe. Die Zeit, bis der Großvater aufwachte, verbrachte ich aber für gewöhnlich in zufriedener Selbstbestimmtheit. Die Hofstelle gehörte in diesen Stunden mir, es war, als wäre ich allein, aber ohne die Angst. Ich wusste, dass es zwei Türen gab, an die ich nur klopfen musste. So strich ich vorzüglich langsam durch die Räume und über den Hof, ohne irgendeine Richtung, wie von einem eigenen kleinen Wind geweht. Ich ließ an den Pfeilern des Podests Äste rattern, zerbröselte die grünen Würmchen der Birken, hackte beim Gehen mit dem rechten Absatz jeden zweiten Schritt ein kleines Loch, drehte mich mit dem Kopf im Nacken um unsere Hofstange oder zog die Sonnenstrahlen auf dem Holz unseres Küchentischs mit dem Fingernagel nach, diesen und vielen anderen endlosen Wiederholungen kann ich bis heute sofort mit allen Sinnen nachspüren, ohne dass eine davon etwas Bestimmtes bedeutet hätte, ohne dass ich bemerkt hätte, wie die Zeit dabei verging. Ich baumelte in diesen Stunden durch die Welt.
    Ein anderes waren die Mutproben. Bei Wind, wenn das Podest unter dem Druck der Hofstange ächzte und knackte, war es eine Mutprobe, schnell darunter durchzulaufen, mit der Gewissheit, dass die Stange ausgerechnet jetzt bersten würde, so zog sie am Holz. Weitere Mutproben, von denen ich jede einzelne bestanden habe: Da waren die zwei halb vergrabenen großen Findlinge aus Granit, bei denen die Aufgabe darin bestand, vom größeren aus dem Stand

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