Vorn
nach oben führt. Doch das tut sie nicht, wie du siehst. Sie läuft weiter, und die Lebenslinie« –
er merkte, wie Sabines Hand in seiner etwas unruhiger wurde –, »die Lebenslinie wiederum bricht ab, stagniert einfach: eine
ungewöhnliche Konstellation. Irgendwas scheint da dein Glück zu stören, oder ihm zumindest eine völlig andere Richtung zu
geben. Gibt es Dinge, die sich gerade massiv ändern bei dir?« Sabine, ernst und fast ein bisschen erschrocken, sagte nur:
»Ja, doch, die gibt es.« Tobias dozierte weiter über die überraschend deutliche Betalinie auf ihrer Hand, und er ließ sich
sogar zu der Überlegung hinreißen, dass dieser neue Einfluss, die tiefe Einkerbung von links, vielleicht auch geografisch
zu interpretieren sei, als ein Sog aus westlicher Richtung: »Was auch immer«, sagte er, »USA, Südamerika, Frankreich, das
kann ich so genau natürlich nicht identifizieren. Aber die Kraft dieser Linie ist schon ganz ordentlich, die würde ich nicht
unterschätzen.« Gerade als |246| Franzi die Geduld zu verlieren drohte und den Betrug auflösen wollte, kam Dennis herausgelaufen und rief: »Unfassbar, Tobias,
komm sofort mit! Schau dir an, was jetzt wieder auf dieser Schaukel passiert! Unser alter Freund Ludwig Elsässer, ich glaub’s
nicht.«
Es war jetzt vielleicht halb fünf oder fünf; am Himmel zeigten sich die ersten hellen Streifen, die Vögel in den Bäumen zwitscherten.
Der Ort hatte sich in den letzten zwanzig Minuten fast so schnell geleert, wie er ein paar Stunden zuvor bevölkert worden
war. Auch die meisten
Vorn
- Leute waren nach Hause gegangen. Im Innern des Gebäudes tanzte noch eine Handvoll Gäste; Robert, der mittlerweile alleine
am DJ-Pult stand, hatte noch einmal »Around the World« aufgelegt, und im Rhythmus des Refrains sangen alle seit Minuten ausgelassen
»Fünf Jahre
Vorn
, Fünf Jahre
Vorn
…« Draußen standen Jakob, Sebastian und Tobias mit ein paar anderen Übriggebliebenen, Mitarbeitern aus der Online-Redaktion
des Magazins und zwei Fotografinnen. Irgendwann begann Tobias, mit einem der vor der Halle verstreuten
Vorn
- Strandbälle herumzukicken, hielt den Ball hoch, schoss ihn gegen einen der Essensstände. Er hatte nach jenem Telefonat mit
Emily kein einziges Mal mehr Fußball gespielt, weil er ein paar Tage später – so klischeehaft, dass er manchmal fast darüber
lachen musste – Rückenschmerzen bekommen hatte, die seitdem nicht mehr verschwunden waren. Jetzt aber drosch er den schon
leicht faltigen
Vorn
- Strandball durch die Gegend, war vielleicht einfach zu betrunken, um noch daran zu denken, und nach ein paar Schüssen standen
auch die anderen auf dem |247| Kiesweg und spielten mit. Jakob nahm den Ball plötzlich in die Hand, sagte: »Komm, Tobias, wir und die zwei Girls gegen den
Rest«, und er bestimmte zwei Biertische, die zehn, fünfzehn Meter voneinander entfernt auf dem Kies standen, als Tore. Sie
begannen zu spielen, vier gegen vier, und das Match im Morgengrauen wurde eine ernste, hart umkämpfte Angelegenheit. Jakob
und Tobias versuchten sich kontrollierte Pässe zuzuspielen, aber sie waren zu betrunken dafür, und der lasche Strandball hatte
eine völlig unberechenbare Flugbahn. Außerdem wurde Sebastian im anderen Team von ziemlich guten Mitspielern unterstützt,
von zwei Redakteuren der Online-Ausgabe und einem ehemaligen Grafiker des Magazins, der mit seinem massigen Körper fast das
gesamte Tor ausfüllte. Das Spiel stand lange unentschieden, zwei zu zwei, und als über eine Viertelstunde hinweg kein weiteres
Tor fiel (es wurde nun schon richtig hell), rief Tobias nach einem Schuss ins Aus: »Okay, nächstes Tor entscheidet!« Es ging
noch ein paar Mal hin und her; das eine Mädchen in ihrem Team, das hinten im Tor stand, stellte sich den gegnerischen Spielern
immer wieder entgegen; und irgendwann beförderte sie den Ball mit einem schnellen Pass übers ganze Feld zu Tobias, so dass
er allein auf den Torwart zulaufen konnte, ihm den Ball durch die Beine schob und den Sieg für seine Mannschaft holte. Die
Freude war übermäßig. Tobias fiel Jakob und dem zweiten Mädchen um den Hals, sie landeten sogar kurz zu dritt auf dem Kiesboden,
und dann lief er nach hinten zu der Torhüterin und umarmte sie lange.
|248| Eine Zeitlang saßen alle noch erschöpft im Gras, tranken ein letztes Beck’s aus den Schubkarren, in denen das ständig nachgefüllte
Eis endgültig
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