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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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Lieblingsbands einstiegen, Fugees, Propellerheads, Jurassic 5; »Around the World« von Daft Punk ging in »All you Need« von
     Air über. Robert schob auch gleich seinen |235| ersten Britpop-Block hinterher, Pulps »This is Hardcore«, ein, zwei Oasis-Stücke, dann »Come On« von The Verve, das ausfransende
     letzte Lied auf der »Urban Hymns«-Platte, die sie im Sommer davor immer bei den Tischtennis-Turnieren in Philipp Nicolais
     Garten gehört hatten. Jetzt lief gerade ein Stereolab-Song; offensichtlich hatte Sebastian übernommen. Tobias spürte, dass
     er sich zum ersten Mal seit dem Telefonat mit Emily wieder einigermaßen selbstverständlich im
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Kosmos bewegen konnte. Es war jedoch ein ganz anderes Gefühl als in den Jahren davor, nicht mehr der fast rauschhafte Überschwang,
     im Zentrum der Welt zu leben. Was sich jetzt, beim Anblick all der bekannten Gesichter, in ihm einstellte, war eher ein vorsichtiges,
     zögerliches Glücksgefühl, die Ahnung, dass hier, in diesen Kreisen, unter diesen Menschen, wahrscheinlich doch seine Zukunft
     liegen würde. Tobias war sich aber im Klaren darüber, dass er weiterhin aufpassen musste. Er hatte sich wieder einmal auf
     die Speedtalks eingelassen, doch er machte das ganz behutsam, von Zeit zu Zeit in sich hineinhörend, so wie jemand, der nach
     einer schweren Verletzung von sich sagt, er würde sein Bein oder seinen Fuß jetzt zum ersten Mal wieder »voll belasten«. Auch
     Tobias belastete an diesem Abend wieder voll, riskierte es, sich wie früher an den rasanten Urteilsbildungen und Klassifizierungen
     zu beteiligen, sich nicht bei jedem Wort zu fragen, ob er sich damit treu bleiben würde. Die Unbefangenheit der alten Zeit
     war zwar verschwunden. Doch Tobias hoffte, diese Unbefangenheit gegen ein Gefühl der Stabilität eingetauscht zu haben.
     
    |236| Die Party hatte sich fast komplett ins Innere des Gebäudes verlagert. Seit vielen Minuten lief Underworlds »Born Slippy« vom
     »Trainspotting«-Soundtrack, und das Stück wurde an einigen Stellen beinahe übertönt von dem allgemeinen Gekreische auf der
     Tanzfläche. In der vollen Halle kamen jetzt auch die ganzen an die Wand geworfenen
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- Fotos erst richtig zur Geltung. Gleich neben dem DJ-Pult war etwa das Bild einer Londoner Modedesignerin zu sehen, über die
     Simon einmal ein Porträt geschrieben hatte, ein blondes Mädchen mit bezauberndem Lächeln, das auf einer Couch lag, von oben
     fotografiert. Es schien, als würde die gute Laune, die das Mädchen ausstrahlte, sofort auch auf alle Tanzenden übergehen.
     Ein paar Meter weiter, über der Bar, hing das Cover einer alten
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Sonderausgabe über Sport. Es war darauf nichts als ein Fußballtor abgebildet, unmittelbar nach dem Spiel aufgenommen (das
     Gras im Fünfmeterraum noch übersät von den Schritten des Torwarts). Die Idee des Hefts damals hatte darin bestanden, über
     all jene Begebenheiten und Rituale im Sport zu schreiben, die in der Berichterstattung ansonsten übergangen werden: über die
     sorgfältig umgestülpten Zungen von Fußballschuhen, die Magie der Spielführerbinde oder über das Geschehen in der Mannschaftskabine
     vor dem Spiel. In der Titelgeschichte hatten Dennis und Ludwig einen jungen Bundesligaspieler dazu befragt, wie es ist, wenn
     man sein Gesicht zum ersten Mal auf einem Panini-Bild entdeckt oder den eigenen Namenszug auf den Trikots von Kindern im Stadion.
     Da Dennis und er ein paar Jahre zuvor in der Jugendmannschaft von Eintracht Frankfurt zusammengespielt hatten, gab der Fußballer |237| erstaunlich offene Antworten über das fast unwirkliche Gefühl, plötzlich ein berühmter Fußballprofi zu sein. Es war eines
     der anrührendsten Interviews gewesen, das jemals im
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zu lesen war.
     
    Tobias ließ seinen Blick an den Wänden entlanggleiten. Mit fast allen Fotos verband er bestimmte Szenen oder Erlebnisse in
     der Redaktion. In einer Seitennische der Halle fiel ihm jetzt auch ein Bild auf, dessen ganze Drastik durch die vielfache
     Vergrößerung erst deutlich wurde. Es zeigte ein junges Mädchen, das sich auf dem Dach eines Hochhauses über einen riesigen
     Mercedes-Stern gelegt hatte, ganz am Rand des Gebäudes, ohne jede Schutzmaßnahme. Tobias musste an den Nachmittag denken,
     an dem er dieses Mädchen in einem Café gegenüber der Redaktion kennenlernte. Er kam gerade aus dem Haupthaus der Zeitung,
     als er Carla Bertoni draußen an einem der Tische sitzen sah, zusammen mit einem

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