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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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bekannten Fotografen des
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- Magazins und dessen Schäferhund. Tobias bestellte sich auch etwas zu trinken, und nach ein paar Minuten kam ein blasses Mädchen
     mit strähnigen Haaren auf sie zu, höchstens fünfzehn oder sechszehn, fast ein bisschen verwahrlost. Sie gehörte offenbar zu
     dem Fotografen, brachte ihm ein Päckchen mit Filmen, die sie für ihn in einem Geschäft besorgt hatte. Das Mädchen setzte sich
     zu ihnen, aber nicht auf einen der Stühle, sondern auf den Gehsteig neben den Schäferhund, ganz selbstverständlich, als wäre
     das ihr angestammter Platz. Ohne ein Wort zu reden, kraulte sie unentwegt das Fell des Hundes, schien das Geschehen um sich
     herum gar nicht richtig wahrzunehmen. Der Fotograf deutete |238| flüchtig mit dem Kopf hinab auf das Mädchen, sagte: »Das ist Julia!« und bezeichnete sie als seine »Assistentin«. Er redete
     von ihr, als wäre sie gar nicht da, meinte nur, dass sie ihm kürzlich »zugelaufen« sei. Er wisse kaum etwas von ihr; sie sei
     wohl aus einem Heim weggerannt und arbeite jetzt seit einigen Wochen für ihn, wohne in seinem Atelier, mache dort auch sauber
     und begleite ihn ansonsten zu seinen Aufträgen. Der Fotograf war gerade in der Redaktion gewesen und hatte Fanny von Graevenitz
     ein paar Aufnahmen mit Julia angeboten. Das Bild auf dem Mercedes-Stern, das ein paar Wochen später im
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erschien, sorgte für großes Aufsehen. (Das Mädchen wurde kurz nach Erscheinen des Hefts von einem Regisseur für die Hauptrolle
     eines Kinofilms engagiert und war mittlerweile eine bekannte Schauspielerin.)
     
    In der Mitte der Tanzfläche herrschte plötzlich Aufregung: Eine Gruppe von Leuten stand um die Schaukel herum. Tobias konnte
     nicht genau erkennen, was los war. Er schob sich durch die Tanzenden hindurch, und dann sah er auch sofort den Grund des Auflaufs:
     Auf der Schaukel saß ein hübsches, sehr junges Mädchen und bewegte sich mit geschlossenen Augen langsam vor und zurück. Tobias
     kannte sie nicht; wahrscheinlich war sie eine Leserin. Das Mädchen hatte einen extrem kurzen Cord-Minirock an, was das Schauspiel
     noch imposanter machte. Um die Schaukel herum standen ein paar Jungs, die sich darin abwechselten, das Mädchen sanft anzuschubsen.
     Sie bildeten fast eine Art Warteschlange, und manche stellten sich, nachdem sie ihrem Hintermann hatten weichen müssen, sofort
     wieder |239| an. In der Schlange stand auch Ludwig, dem es ein wenig unangenehm war, dass Tobias ihn entdeckt hatte. Aber er schien so
     angetan von dem Mädchen auf der Schaukel zu sein, dass er die etwas spöttischen Blicke seines Kollegen in Kauf nahm. Tobias
     wollte zurück an die Bar gehen und sich ein Bier holen, doch er wurde von Dennis aufgehalten, der sich gerade eindringlich
     mit jemandem unterhielt. »Tobias, wart mal kurz«, sagte er, »schau, das ist Daniel Herrmann, der mit den tanzenden Jungs.
     Er ist heute extra aus Leipzig gekommen.« Und zu Daniel: »Das ist übrigens Tobias Lehnert, einer von den Redakteuren, die
     bisher deine Artikel betreut haben. Jetzt ist er leider zum Feuilleton gegangen.« Tobias erinnerte sich sofort an den Namen;
     Daniel war der erste neue Autor seit langem gewesen, der die
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Leute wirklich begeisterte. Er hatte in den letzten Wochen einige Texte angeboten, die auch alle abgedruckt worden waren,
     unter anderem einen über das Gesetz, dass Jungs nicht tanzen sollten. Tobias hatte die ersten Sätze dieses Artikels sogar
     im Gedächtnis behalten: »Die Eiche ist ein Baum. Die Rose ist eine Blume. Der Tod ist unvermeidlich. Jungs sollten nicht tanzen.
     So ungefähr sagt es ein russisches Sprichwort, und alle vier Sätze stimmen.« Auch Ludwig fand die Texte damals so gut, dass
     er Tobias gleich um Daniels Telefonnummer gebeten und ihn zu dem heutigen Abend eingeladen hatte. Zu dritt standen sie jetzt
     am Rand der Tanzfläche. Daniel hatte wirklich recht gehabt. Es war vielleicht nicht einmal das Tanzen selbst, das bei Männern
     so unbeholfen wirkte; es war vor allem das Problem des Anfangens, der ersten Bewegungen, das ihnen zu schaffen machte. Die
     Mädchen bekamen |240| diesen Moment fast immer mit bewundernswerter Eleganz hin. Der Schritt vom Nicht-Tanzen zum Tanzen war bei ihnen wie ein natürlicher
     Übergang, ohne jede Schwelle. Gerade liefen zwei schreiende Mädchen Hand in Hand an ihnen vorbei, weil Sebastian offenbar
     eines ihrer Lieblingslieder aufgelegt hatte, »Mayonnaise« von Smashing Pumpkins, und sie

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