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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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Handtasche gezogen hatte.)
     Das Manöver verängstigte den anderen jedenfalls derart, dass er gleich weiterging und anderswo Anschluss suchte. Tobias wechselte
     noch ein paar Sätze mit Carla und Anne und hörte ihnen im Weggehen ein bisschen beim Lästern über andere Partygäste zu: »Hast
     du gesehen, Verena ist auch da, in diesem nicht wirklich vorteilhaften Kleid?«, sagte Carla mit ihrer hohen Stimme, die umso
     mädchenhafter wurde, je größer die Gemeinheit war, die folgte. »Weißt du, was die mittlerweile macht? Die schreibt jetzt die
     Kinotexte bei der
Allegra
. Und das nach unserem Treffen neulich auf der Berlinale: Sie fragte mich, wo ich gerade hingehe, und als ich sagte, ich schau
     mir jetzt gleich die Sondervorführung von ›Panzerkreuzer Potemkin‹ an, antwortete sie ungelogen: ›Ach, genau, das ist doch
     der neue Schlingensief, oder?‹« Kaum ein Gesicht, in das Tobias jetzt blickte, das ihm nicht aus den vergangenen drei Jahren
     beim
Vorn
vertraut gewesen wäre. Ein paar Meter vor ihm sah er Simon, der extra aus London angereist war; auf der Wiese dahinter, unter
     einem großen Baum, stand Ludwig, umgeben von einem Kreis aus Lesern und früheren Praktikanten, und hielt einen kleinen Vortrag
     über den Werdegang des Heftes.
     
    |233| Am Eingang wurden Stimmen laut. Tobias drehte sich um und erkannte Dennis und seine Freundin, die gerade angekommen waren
     und nun von den ersten Leuten begrüßt wurden. Es war stets dasselbe Bild, wenn Dennis auf einem Fest auftauchte. Er stand
     sofort im Zentrum des Geschehens; der Schwerpunkt der Party verlagerte sich, so als würde von ihm eine Art Sogkraft ausgehen.
     Tobias hatte diese Gabe oft bewundert, weil sie natürlich auch bedeutete, dass sich Dennis auf Festen niemals langweilte.
     Er selbst kannte diese Phasen des Stillstands gut, das ziellose Umherstreifen im Raum, das Bierholen, das Sich-an-den-Rand-der-Tanzfläche-Stellen.
     Bei Dennis gab es diese Unterbrechungen anscheinend nicht; er war jemand, der vom ersten Moment an umringt war. Dennis kam
     auf Tobias zu, und die beiden begrüßten einander, herzlicher und freundschaftlicher als in den Monaten davor. Dann wurde er
     sofort von einem Leser in Beschlag genommen, und Tobias stieß im Weitergehen fast mit einer Gruppe früherer
Vorn -
Grafikerinnen zusammen. »Hey, Tobias«, rief eine von ihnen, »schön, dich zu sehen. Na, amüsierst du dich?« – »Ja, klar, ihr
     auch?« – »Klar, ist doch total nett hier. Allein die Location …« Doch dann brach das Gespräch auch schon ab, und es entstand
     eine etwas unangenehme Pause. Tobias bemerkte wieder einmal, dass es kaum eine andere Art von Mädchen gab, mit denen er sich
     im Reden so schwer tat wie mit Grafikerinnen. Sie waren immer sehr freundlich und sahen gut aus, doch Tobias hatte das Gefühl,
     dass ihre Zurückgenommenheit eine längere Unterhaltung fast unmöglich machte. Lag es daran, dass sie Tag für Tag neun Stunden
     lang wortlos |234| am Computer saßen und Buchstaben oder Bilder hin und her schoben? Dass sich diese geduldige, konzentrierte Feinarbeit mit
     den Jahren auf ihr Temperament niedergeschlagen hatte? Alle
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Grafikerinnen, die Tobias je kennengelernt hatte, ähnelten sich in einer merkwürdigen Trägheit, einer besonders sparsamen
     Dosierung der Gesten und Worte. Vielleicht waren professionelle Näherinnen vor 150 Jahren ähnlich gestimmt. Sie versuchten
     noch einige Satzfragmente zu wechseln, die Unterhaltung in Gang zu bringen, doch trotz der großen Sympathie, die alle in der
     Runde füreinander empfanden, gelang es nicht besonders gut. Sie prosteten sich daher einfach ständig mit ihren Bierflaschen
     zu, und Tobias fiel auf, wie seltsam eine der Grafikerinnen aus der Flasche trank. Er hatte das auf früheren Partys schon
     häufiger bemerkt. Das Mädchen hielt die Flasche immer ganz oben am Hals und versuchte dann mit hastigen Lippenbewegungen zu
     trinken, wobei es eher eine Art Saugen war, weil sie die Flaschenöffnung fast vollständig mit dem Mund umschlossen hatte.
     
    Aus der Halle kam nun lautere Musik; Robert und Sebastian mussten mit ihrem DJ-Set begonnen haben. Tobias sagte: »Ich geh
     mir noch ein Bier holen«, den obligatorischen Entwindungssatz auf Partys, den er erst seit ganz kurzer Zeit für sich entdeckt
     hatte, und ging hinein. Die Tanzfläche war schon nach den ersten Liedern voll, weil die beiden oben auf dem Heizkessel sofort
     mit ein paar Hits der jüngsten
Vorn

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