Vorsatz und Begierde (German Edition)
Ich weiß nur, daß er sich ohne fremde Mithilfe umbrachte. Er mag zum damaligen Zeitpunkt den Schluß gezogen haben, es sei der einzige vernünftige Ausweg. Dr. Gledhill war manisch-depressiv. Er kämpfte beherzt gegen seine Veranlagung an, die auch nur äußerst selten seine Arbeit beeinträchtigte. Aber eine derartige psychische Struktur führt überdurchschnittlich häufig zum Selbstmord. Wenn Sie mir zustimmen, daß die drei Todesfälle nicht miteinander verknüpft sind, brauchen wir mit den ersten beiden keine Zeit zu verschwenden. Oder waren Ihre Worte als Ausdruck des Beileids gemeint, Chief Inspector?«
»Es war nur eine Feststellung der Tatsachen«, erwiderte Rikkards und fuhr fort: »Miles Lessingham, einer Ihrer Mitarbeiter, entdeckte die ermordete Christine Baldwin. Er sagte aus, er sei auf dem Weg zu Miss Mairs Dinnerparty gewesen. Vermutlich hat er den Anwesenden sein Erlebnis anschaulich geschildert, was ich verständlich finde. Es ist schwer, so etwas nicht zum besten zu geben.«
»Nahezu unmöglich, meinen Sie nicht auch?« entgegnete Dr. Mair gleichgültig. »Zumal unter Leuten, die sich gut kennen.«
»Zu diesen Leuten zählte auch Miss Robarts. Und alle erfuhren die grausigen Einzelheiten sozusagen aus erster Hand, auch diejenigen, die er, wie man ihm eingeschärft hatte, für sich behalten sollte.«
»Welche waren das, Chief Inspector?«
Rikkards überging die Frage. »Könnten Sie mir die Namen der Gäste angeben«, sagte er, »die in Martyr’s Cottage anwesend waren, als Mr. Lessingham eintraf?«
»Das waren meine Schwester und ich, Hilary Robarts, Mrs. Dennison, die Haushälterin im Alten Pfarrhof, und Commander Adam Dalgliesh von der Metropolitan Police. Und die Tochter von Ryan Blaney. Sie heißt Theresa, glaube ich. Sie half meiner Schwester bei der Zubereitung des Essens.« Er stockte und fügte noch hinzu: »Ist es wirklich notwendig, sämtlichen Mitarbeitern diese Fragebögen auszuhändigen? Es steht doch fest, was geschehen ist. Es war eine Nachahmungstat, wie man es, glaube ich, bei der Kripo nennt.«
»Das ist schon richtig, Sir«, erwiderte Rikkards. »Die Einzelheiten fügen sich in ein Schema. Alles wirkt überaus überzeugend. Aber es gibt da zwei Unterschiede. Der Mörder kannte das Opfer. Und er ist kein Psychopath.«
Als sie wenige Minuten darauf Miss Amphlett den Korridor entlang zu dem Raum folgten, den man ihnen für ihre Befragungen zur Verfügung gestellt hatte, dachte Rikkards: Ganz schön gerissen, dieser Dr. Mair. Keinerlei Äußerungen des Entsetzens oder der Betroffenheit, die ohnehin zumeist nur unehrlich klingen. Keinerlei Unschuldsbeteuerungen. Dahinter steht die Annahme, daß niemand, der bei klarem Verstand ist, ihn des Mordes bezichtigen könnte. Er hat auch nicht gesagt, daß er seinen Anwalt hinzuziehen müsse, aber den brauchte er dann auch gar nicht. Aber er ist viel zu intelligent, als daß ihm die Tragweite der Fragen nach der Dinnerparty entgangen wäre. Wer immer Hilary Robarts umgebracht hatte, hatte gewußt, daß sie am Sonntag nach 9 Uhr abends im mondhellen Meer schwimmen würde. Und diese Person hatte ferner gewußt, wie der Whistler seine Opfer umbrachte. Es gibt sicherlich viele Menschen, denen die eine oder die andere Tatsache bekannt war. Doch die Anzahl derer, die um beide Fakten wußten, ist klein. Und sechs von ihnen hatten am vergangenen Donnerstag abend an der Dinnerparty in Martyr’s Cottage teilgenommen.
29
Der Vernehmungsraum, den man ihnen zugewiesen hatte, war ein ödes, kleines Büro mit Aussicht auf den Klotz des Turbinenhauses im Westen. Doch für ihr Vorhaben war es ausreichend ausgestattet. Eben noch geeignet für Besucher, dachte Rikkards übelgelaunt, deren Anwesenheit man duldete, aber nicht schätzte. Eingerichtet war es mit einem modernen, hochbeinigen Schreibtisch, der offenbar aus einem anderen Büro stammte, drei hochlehnigen Stühlen, einem bequemen Armsessel, einem Beistelltisch, auf dem auf einem Tablett mit einem Elektrowasserkessel, vier Tassen samt Untertassen – dachte denn Dr. Mair, sie würden den Verdächtigen Kaffee anbieten? – eine Schale mit verpackten Zuckerwürfeln und drei Büchsen standen.
»Was ist denn da drin, Gary?« fragte Rikkards.
Gary Price inspizierte die Büchsen. »Eine Büchse mit Kaffeebeuteln, eine mit Teebeuteln und eine mit Keksen, Sir.«
»Was für Kekse?« erkundigte sich Oliphant.
»Verdauungsfördernde, Sergeant.«
»Mit Schokolade überzogen?«
»Nein,
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