Vorsatz und Begierde (German Edition)
berühren oder verändern dürfe. Ich ging dann zum Meer, wo ich bis zu Ihrer Ankunft umherschlenderte.«
»Arbeiten Sie öfters am Sonntag abend noch im AKW?« fragte Rikkards.
»Nahezu immer, wenn ich den Freitag in London habe verbringen müssen. Gegenwärtig habe ich ein ziemlich großes Arbeitspensum, das ich in einer Fünf-Tage-Woche nicht bewältigen kann. Ich blieb knapp drei Stunden.«
»Und was für eine Arbeit hatten Sie zu erledigen, als Sie allein im Computerraum waren, Sir?«
Wenn Dr. Mair die Befragung nicht sachbezogen fand, ließ er es sich immerhin nicht anmerken. »Zur Zeit arbeite ich an einer Untersuchung über das Reaktorverhalten bei angenommenem Kühlmittelverlust. Ich bin selbstverständlich nicht der einzige, der auf diesem Gebiet forscht, das zu den wichtigsten Bereichen der Kernkraftforschung gehört. Bei solchen Projekten ist die internationale Zusammenarbeit groß.«
»Arbeiten Sie in Larksoken als einziger an diesem Projekt?«
»In diesem AKW schon. Ähnliche Forschungen betreibt man noch in Winfrith wie auch in einer Reihe weiterer Länder einschließlich der Vereinigten Staaten. Wie ich schon sagte, die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet ist beträchtlich.«
»Ist ein Kühlmittelverlust der schlimmste Unfall, den man sich vorstellen kann?« fragte Sergeant Oliphant.
Alex Mair musterte ihn einen Augenblick, als müßte er sich zunächst schlüssig werden, ob eine Frage, die von einem solchen Menschen gestellt wurde, auch eine Antwort verdiene.
»Ein Kühlmittelverlust ist höchst gefährlich«, erklärte er dann. »Es gibt selbstverständlich Gegenmaßnahmen für den Fall, daß das Kühlungssystem versagt. Aber die Panne am Reaktor von Three Mile Island in den Vereinigten Staaten hat gezeigt, daß wir mehr über das Ausmaß und den Verlauf einer dermaßen bedrohlichen Störung erfahren müssen. Im Grunde gibt es drei Problembereiche: weitreichende Schädigungen des Brennstoffs und eine eventuell eintretende Kernschmelze, das Eindringen freiwerdender Spaltprodukte und Aerosole in das primäre Kühlungssystem und schließlich das Verhalten von Spaltprodukten im austretenden Brennstoff und Dampf innerhalb der Reaktorbehälters. Falls Sie sich dafür interessieren und über ausreichende Vorkenntnisse verfügen, könnte ich Ihnen die einschlägige Fachliteratur angeben. Doch für eine wissenschaftliche Weiterbildung scheint mir weder Zeitpunkt noch Ort geeignet zu sein.«
Sergeant Oliphant lächelte, als würde ihn die Abfuhr belustigen. »Arbeitete nicht Dr. Toby Gledhill, der Wissenschaftler, der sich umbrachte, mit Ihnen am gleichen Forschungsprojekt?« fragte er. »Ich habe darüber in den Lokalzeitungen gelesen.«
»Das stimmt. Er war mein Assistent. Tobias Gledhill war Atomphysiker und zugleich ein ungewöhnlich talentierter Computerexperte. Wir vermissen ihn als Kollegen und auch als Menschen.«
Und damit ist Toby Gledhill abgetan, dachte Rikkards. Bei einem anderen hätte der schlichte Nachruf glaubwürdig geklungen; bei Alex Mair klang er wie eine schroffe Verabschiedung. Na ja, ein Selbstmord war nun mal eine peinliche Angelegenheit. Und solche Begebenheiten fand Dr. Mair wohl besonders widerlich, wenn sie sich in seinem säuberlich organisierten Zuständigkeitsbereich zutrugen.
Dr. Mair wandte sich an Rikkards. »Ich habe heute vormittag noch eine Menge zu erledigen, Chief Inspector, und Sie zweifellos auch. Sind solche Fragen noch sachdienlich?«
»Wir versuchen nur, uns ein Bild zu verschaffen«, erwiderte Rikkards beschwichtigend. »Ich nehme an, Ihre Ankunft gestern abend und Ihr Gehen sind elektronisch registriert worden?«
»Sie haben ja bei Ihrer Ankunft gesehen, wie unser Sicherheitssystem funktioniert. Jeder AKW-Mitarbeiter hat eine mit seinem Namenszug, seiner Photographie und seiner streng vertraulichen Personalnummer versehene Identitätskarte. Die Personalnummer wird bei der Ankunft elektronisch gespeichert. Zudem überprüft das Wachpersonal am Eingang anhand der Photographie die Identitätskarte. Ich habe insgesamt fünfhundertdreißig Mitarbeiter, die pro Tag in drei Schichten arbeiten. Übers Wochenende gibt es nur zwei Schichten – die Tagschicht von 8 Uhr 15 bis 20 Uhr 15 und die Nachtschicht von 20 Uhr 15 bis 8 Uhr 15.«
»Es könnte also niemand, auch nicht der AKW-Direktor, das Werk unbemerkt betreten oder verlassen?«
»Niemand, schon gar nicht der Direktor. Meine Ankunftszeit wird und wurde registriert. Außerdem hat
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