Vorsatz und Begierde (German Edition)
tun mit jenen halb beschämenden Affären, den Demütigungen seiner früheren Erlebnisse mit Frauen. Und dennoch benutzten nicht nur Dichter und Schriftsteller dieses Wort, sondern die ganze Welt schien instinktiv, wenn auch nicht durch unmittelbare Erfahrung, genau zu wissen, was es bedeutete. Manchmal fühlte er sich unendlich benachteiligt, ausgeschlossen von einem universalen Geburtsrecht, wie sich wohl ein Mann fühlen würde, der ohne Geschmacks- oder Geruchssinn geboren war. Und als er sich drei Monate nach den Flitterwochen in Susie verliebte, war es wie die Offenbarung eines Gefühls, von dem er zwar wußte, das er aber nie selbst erlebt hatte, als öffneten sich blinde Augen plötzlich der Realität von Licht, Farbe und Form. Es geschah eines Nachts, als sie zum erstenmal in der Liebe mit ihm Befriedigung erfuhr, sich halb lachend, halb weinend an ihn klammerte und zusammenhanglose Zärtlichkeiten flüsterte. Und als er sie noch fester in die Arme nahm, wurde ihm in einem Augenblick staunender Erkenntnis bewußt, daß dies die Liebe war. Jener Augenblick der Erkenntnis war zugleich Erfüllung und Verheißung gewesen, nicht das Ende einer Suche, sondern der Beginn einer Entdeckungsreise. Für Zweifel blieb kein Raum; seine Liebe, einmal erkannt, schien ihm unzerstörbar zu sein. In ihrer Ehe mochte es Momente gemeinsamer Gefühle der Angst und des Unbehagens gegeben haben, aber sie würde niemals geringer werden, als sie es jetzt war. War es wirklich möglich, überlegte er jetzt, daß sie durch diesen ersten, ernsthaften Test gefährdet, wenn nicht sogar zerstört wurde, durch ihren Entschluß nämlich, der wohlberechneten Mischung von Einschüchterung und Bettelei ihrer Mutter nachzugeben und ihn allein zu lassen, obwohl die Geburt ihres ersten Kindes bevorstand? Er wollte dabeisein, wenn ihr das Baby zum erstenmal in die Arme gelegt wurde. Jetzt erfuhr er es vielleicht sogar nicht einmal, wenn die Wehen bei ihr einsetzten. Das Bild, das ihn in seiner Phantasie ständig verfolgte, bevor er einschlief und beim Aufwachen, nämlich das Bild seiner Schwiegermutter, die mit dem Kind in den Armen triumphierend auf der Entbindungsstation stand, vertiefte seine Abneigung gegen sie fast bis zur Paranoia.
Rechts neben dem Toilettentisch hing eines ihrer Hochzeitsphotos im versilberten Rahmen, aufgenommen unmittelbar nach der Trauung, die speziell hätte geplant sein können, um den sozialen Unterschied zwischen den beiden Familien zu betonen. Susie, leicht an ihn gelehnt, wirkte mit ihrem spitzen, zarten Gesichtchen jünger als achtundzwanzig Jahre, und ihr Kopf mit dem blonden Haar, auf dem ein Blumenkranz thronte, reichte ihm kaum bis an die Schulter. Es waren künstliche Blumen, Rosenknospen und Maiglöckchen, und doch stieg, wenn er sich an jenen Tag erinnerte, ein flüchtiger, süßer Duft von ihnen auf. Ihre Miene mit dem ernsthaften Lächeln verriet keine Regung, nicht einmal jene, die von dieser ganzen weißen Mystik doch wohl symbolisiert wurde: Dies ist es, wofür ich gearbeitet habe, was ich mir wünsche, was ich erreicht habe. Er selbst blickte direkt in die Kamera, geduldig die endlose Knipserei ertragend, vor allem diese letzte einer schier endlosen Folge von Aufnahmen vor der Kirche. Schließlich wurde die Familiengruppe dann freigegeben. Und da waren sie nun, Susie und er, ganz legal ins Ehejoch gespannt, ein rechtmäßig angetrautes Ehepaar. Die Photositzung war, wie es ihm rückblickend erschien, der wichtigste Teil der Trauung gewesen, der Gottesdienst lediglich die Einleitung zu diesem komplizierten Gruppieren und Umgruppieren ungleich gekleideter Fremder, nach den Gesetzen einer Hierarchie, die er nicht ganz begriff, in der der leitende Photograph aber anscheinend Meister war. Wieder hörte er die Stimme seiner Schwiegermutter: »Gewiß, ein etwas ungeschliffener Diamant, leider, aber er ist wirklich sehr tüchtig. Hat das Zeug zum Chief Constable, wie man mir sagte.«
Nun, er hatte nicht das Zeug zum Chief Constable, und das hatte seine Schwiegermutter genau gewußt, aber wenigstens hatte sie nichts an dem Haus auszusetzen gefunden, das er für ihr einziges Kind erworben hatte.
Es war reichlich früh am Tag für einen Anruf; außerdem wußte er, daß seine Schwiegermutter, eine Langschläferin, diesen ersten Ärger des Tages weidlich ausschlachten würde. Aber wenn er jetzt nicht mit Susie sprach, konnte es durchaus spät in der Nacht werden, bis er wieder eine Gelegenheit zum Telephonieren
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