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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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vergewaltigt. Anscheinend war sie eine außergewöhnlich gesunde Frau, bis jemand ihr einen Strick um den Hals legte und sie erdrosselte. Nachdem der Doc ihren Mageninhalt untersucht hat, kann er den Zeitpunkt des Todes ein bißchen näher bestimmen, aber er hält an seiner ersten Einschätzung fest. Zwischen halb 9 und Viertel vor 10, aber wenn wir uns auf zwanzig nach 9 einigen, erhebt er keinen Widerspruch. Und sie war nicht schwanger, Sir.«
    »Also gut, Sergeant. Wir treffen uns in ungefähr fünfundvierzig Minuten vor dem Alten Pfarrhof.«
    Aber verdammt noch mal, er dachte gar nicht daran, sich diesem schweren Tag ganz ohne Frühstück zu stellen. Rasch nahm er sich ein paar Speckscheiben aus dem Paket im Kühlschrank, legte sie unter den voll aufgedrehten Grill, setzte den Wasserkessel auf und holte sich einen Becher. Zeit genug für einen starken Kaffee. Den Speck würde er dann zwischen zwei Brotscheiben packen und das Ganze im Auto essen.
    Als er vierzig Minuten später durch Lydsett fuhr, dachte er an den vergangenen Abend. Er hatte Adam Dalgliesh nicht gebeten, zusammen mit der Polizei zum Alten Pfarrhof zu kommen. Es war nicht notwendig; seine Informationen waren exakt und präzise gewesen, und man brauchte wohl kaum einen Commander der Metropolitan Police, um eine Teekiste voll abgelegter Schuhe zu identifizieren, aber es gab noch einen anderen Grund. Er hatte dankbar Dalglieshs Whisky getrunken, seinen Eintopf, oder wie immer er es nannte, gegessen und die wichtigsten Punkte der Untersuchung mit ihm besprochen. Denn was hatten sie schließlich beide gemeinsam, wenn nicht ihren Beruf? Aber das bedeutete nicht, daß er Dalgliesh dabeihaben wollte, wenn er ihn tatsächlich ausübte. Er war froh gewesen, am gestrigen Abend in der Mühle aufgenommen zu werden, dankbar dafür, nicht in ein leeres Haus heimkehren zu müssen, er hatte gern gemütlich am Kaminfeuer gesessen und sich allmählich wohl gefühlt. Draußen jedoch, fern von Dalgliesh, kehrte die alte Unsicherheit zurück, mit derselben verwirrenden Macht wie am Totenbett des Whistlers. Er wußte, daß er mit Dalgliesh niemals einer Meinung sein würde, und er wußte auch, warum. Er brauchte selbst heute noch bloß an jenen Zwischenfall zu denken, und der alte Groll kehrte zurück. Obwohl es schon fast zwölf Jahre her war und er bezweifelte, daß Dalgliesh sich daran erinnerte. Das war natürlich der schwerwiegendere Teil der Demütigung, daß jene Worte, die seit Jahren in seiner Erinnerung hafteten, die ihn damals so erniedrigt und sein Selbstvertrauen als Kriminalbeamter beinah zerstört hatten, so leichthin gesprochen und anscheinend so schnell vergessen sein konnten.
    Es war in einer kleinen Dachkammer eines schmalen Hauses hinter der Edgware Road gewesen; das Opfer war eine fünfzigjährige Prostituierte. Als sie gefunden wurde, war sie schon über eine Woche tot, und der Gestank in dem vollgestopften, licht- und luftlosen Loch war so ekelerregend, daß er sich das Taschentuch auf den Mund pressen mußte, um sich nicht zu erbrechen. Einer der Constables hatte weniger Erfolg bei diesem Versuch. Er war zum Fenster gestürzt, um es aufzureißen, und hätte es fast geschafft, wäre der Flügel nicht vor lauter Schmutz fest zugeklebt gewesen. Rikkards selbst hatte nicht schlucken können, als sei die eigene Spucke verseucht. Das Taschentuch vor seinem Mund war tropfnaß von Speichel. Die Prostituierte hatte nackt inmitten der Flaschen, der Pillen, der halbgegessenen Speisereste gelegen, ein obszöner Klumpen faulenden Fleisches, nur dreißig Zentimeter von dem randvollen Nachttopf entfernt, den sie zuletzt nicht mehr hatte erreichen können, auf den aber nur der geringste Teil des Gestanks in der Kammer zurückzuführen gewesen war. Nachdem der Pathologe gegangen war, hatte Rikkards sich an den nächststehenden Constable gewandt und gesagt: »Können wir denn um Gottes willen nicht endlich dieses Ding da rausschaffen?«
    Und dann war Dalglieshs Stimme wie ein Peitschenknall von der offenen Tür gekommen. »Die Bezeichnung lautet ›Leichnam‹, Sergeant. Oder, falls es Ihnen lieber ist, ›Kadaver‹, ›Tote‹, ›Opfer‹, sogar, wenn’s sein muß, ›die Verstorbene‹. Was Sie da sehen, war eine Frau. Sie war kein Ding, als sie noch lebte, und sie ist auch jetzt kein Ding.«
    Er reagierte sogar jetzt noch auf die Erinnerung, spürte, wie sich seine Magenmuskeln zusammenzogen, spürte die heiße Woge des Zorns von damals. Er hätte es

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