Vorsatz und Begierde (German Edition)
noch das Kind. Sie würde es sicherlich mitnehmen wollen; selbstverständlich würde sie das tun. Wer sollte sich denn sonst um es kümmern? Er konnte sich das nachsichtige, belustigte Lächeln seiner Freunde vorstellen, die spöttische Miene seiner Widersacher, wenn das Balg mit klebrigen Fingern in der Wohnung umhertapste. Er nahm – was Liz ihm erspart hatte – den Geruch von säuerlicher Milch wahr, von kotigen Windeln, er sah voraus, daß es dann keine Ruhe, keine Ungestörtheit mehr geben würde. Er brauchte diese bewußt kraß gezeichnete Realität, damit er wieder zu sich fand. Es erschreckte ihn, daß er sich, wenn auch nur für wenige Minuten, in eine solch zerstörerische Torheit hineinversetzen konnte. Ich bin besessen von ihr, dachte er. Na schön, dann werde ich eben in den wenigen verbleibenden Wochen meine Besessenheit ausleben. Der Spätsommer konnte ja nicht lange anhalten. Die für diese Jahreszeit ungewöhnlich warmen Tage mit ihrem wohltuenden Sonnenschein waren bald vorbei. Die Abenddämmerung setzte schon viel eher ein. Nicht lange, und die vom Meer her wehenden Brisen würden bereits den Winter ankündigen. Bald konnten sie nicht mehr in den sonnengewärmten Sanddünen liegen. Und in Martyr’s Cottage durfte sie ihn nicht besuchen. Das wäre eine fahrlässige Dummheit. Zwar hätte sie, wenn Alice in London weilte und sich keine Besucher angekündigt hatten, eine ganze Nacht in seinem Zimmer verbringen können, aber das wollte er nie mehr riskieren. Auf der Landzunge konnte man nur wenig geheimhalten. Die Affäre war eine unverhoffte Dreingabe des Lebens, eine herbstliche Torheit, aber nichts, was der ersten Winterkälte widerstehen würde.
»Neil ist mein Freund, klar?« sagte sie plötzlich, als hätten sie ihr Gespräch nicht unterbrochen. »Seit wann interessierst du dich für ihn?«
»Ich? Überhaupt nicht. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn er etwas ordentlicher hausen würde. Sein Caravan, dieser Schandfleck, ist von meinem Fenster aus gut zu sehen.«
»Um ihn von deinem Fenster aus zu sehen, brauchst du schon ein Fernglas. Außerdem ist dein AKW ebenfalls ein Schandfleck. Und das müssen wir uns alle gefallen lassen.« Er legte die Hand auf ihre Schulter, die sich unter der körnigen Sandschicht sonnenwarm anfühlte, und erwiderte mit spöttischer Gestelztheit: »Die einhellige Ansicht lautet, daß das AKW, trotz aller durch seine Funktion und Lage vorgegebenen Beschränkungen, vom Architektonischen her gelungen ist.«
»Wer sagt das?«
»Ich zum Beispiel.«
»Was solltest du auch sonst sagen? Im Grunde müßtest du Neil dankbar sein. Wenn er sich nicht um Timmy kümmerte, könnte ich nicht kommen.«
»Es ist eine primitive Behausung. Ihr habt zum Beispiel einen Holzofen, nicht? Wenn es den zerreißt, ist es aus mit dir, mit euch dreien, zumal wenn dann noch die Tür klemmt.«
»Die ist nie verschlossen. Du redest Unsinn! Außerdem lassen wir das Feuer nachts ausgehen. Und was ist, wenn dein Klotz da drüben in die Luft fliegt? Dann krepieren nicht bloß wir drei. Stimmt doch, oder? Dann krepieren nicht nur wir Menschen. Was ist mit Smudge und Whisky? Haben die kein Lebensrecht?«
»Er wird nicht explodieren. Hör doch nicht auf die Schauergeschichten, mit denen er die Leute verrückt macht. Frage mich , wenn dich die Atomkraft ängstigt. Ich kann dich aufklären.«
»Du meinst, während du mich bumst, kannst du mir die friedliche Nutzung der Kernenergie erläutern? Dann würde ich’s garantiert kapieren?«
Mit einem Ruck drehte sie sich ihm zu. Die Sandkörnchen auf ihrer Schulter glitzerten. Und dann spürte er, wie ihr Mund seine Ohrlippe liebkoste, seine Brustwarzen, seinen Bauch. Sie kniete sich über ihn, und das rundliche, kindliche Gesicht mit dem dichten, hellen Haar verdeckte den Himmel.
Wenige Minuten darauf entwand sie sich seinem Griff und begann den Sand von ihren Jeans und dem T-Shirt zu klopfen.
»Warum unternimmst du nicht mal was gegen die Zicke in Larksoken, die Neil verklagt hat?« fragte sie und zwängte sich in die Jeans. »Du könntest sie davon abbringen. Du bist doch ihr Chef.«
Diese Frage – oder war es eine Forderung? – riß ihn aus seiner träumerischen Stimmung, als hätte sie ihm völlig grundlos einen Schlag ins Gesicht versetzt. Bei ihren vier Begegnungen hatte sie ihn nie über seinen Job befragt. Auch das AKW erwähnte sie selten, beklagte sich nur wie heute nachmittag darüber, daß es die Aussicht verschandele. Er sperrte
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