Vorsatz und Begierde
des Spiegels. Nur ihre Schminkutensilien fehlten, und deren Fehlen versetzte ihm einen so schmerzhaften Stich, als sei sie gestorben und die Utensilien mit all den anderen banalen Hinterlassenschaften eines Lebens beseitigt worden. Was, fragte er sich, als er sich vorbeugte, um intensiver in den Spiegel sehen zu können, hatte in diesem rosa-weißen, durch und durch femininen Schlafzimmer überhaupt etwas mit diesem hageren Gesicht, diesem derben, maskulinen Torso zu tun? Wieder empfand er, was er anfangs empfunden hatte, als sie einen Monat nach den Flitterwochen hier einzogen: daß nichts in diesem Haus wirklich zu ihm gehörte. Als junger DC hätte er nicht schlecht gestaunt, wenn man ihm erzählt hätte, er werde einst ein solches Haus erwerben, mit einer kiesbestreuten Einfahrt, einem Garten von einem halben Morgen, einem Salon und einem Eßzimmer, jeweils mit sorgfältig ausgewählten Möbeln, die noch unberührt und neu dufteten und ihn jedesmal, wenn er die Zimmer betrat, an das Warenhaus in der Oxford Street erinnerten, in dem sie ausgesucht worden waren. Doch nun, da Susie fort war, fühlte er sich wieder genauso unbehaglich darin wie ein nur gerade eben tolerierter, aber eigentlich verhaßter Gast.
Er schlüpfte in seinen Morgenrock und öffnete die Tür des kleinen Zimmers auf der Südseite des Hauses, das zum Kinderzimmer bestimmt war. Das hellgrün und weiß bespannte Bettchen paßte zu den Vorhängen. Der Wickeltisch mit der unteren Platte für die Babyutensilien und dem Beutel für saubere Windeln stand an der Wand. Auf der Tapete tummelten sich Häschen und lustig springende Lämmer. Er konnte sich nicht vorstellen, daß eines Tages sein Kind hier schlafen würde.
Aber es war nicht nur das Haus, das ihn ablehnte. Solange Susie fort war, fiel es ihm zuweilen sogar schwer, an die Realität seiner Ehe zu glauben. Er hatte sie auf einer Bildungskreuzfahrt nach Griechenland kennengelernt, die er als Alternative zu seinem gewohnten, einsamen Wanderurlaub gebucht hatte. Sie hatte zu den wenigen jüngeren Frauen auf dem Schiff gehört und reiste mit ihrer Mutter, einer Zahnarztwitwe. Jetzt war ihm klar, daß Susie es gewesen war, die hinter ihm her war, die über die Heirat bestimmt, die ihn erwählt hatte, lange bevor er auch nur daran dachte, sie zu erwählen. Als ihm diese Erkenntnis kam, war sie jedoch eher schmeichelhaft als beunruhigend, und schließlich war er ja nicht abgeneigt gewesen. Er hatte jenen Lebensabschnitt erreicht, da er sich gelegentlich den Komfort eines gemütlichen Heims herbeiträumte, eine Ehefrau, die zu Hause auf ihn wartete, jemanden, zu dem er am Ende des Arbeitstages heimkehren konnte, ein Kind, das seine Hoffnung für die Zukunft war, Menschen, für die zu arbeiten sich lohnte.
Und sie hatte ihn gegen den Widerstand ihrer Mutter geheiratet, die anfangs mit dem Unternehmen einverstanden gewesen zu sein schien, vielleicht, weil sie sich sagte, daß Susie achtundzwanzig sei und die Zeit nicht gerade für sie arbeitete, die aber, sobald die Verlobung stattgefunden hatte, deutlich zeigte, daß ihr einziges Kind eine bessere Wahl hätte treffen können, und sich für eine Politik ostentativer Resignation entschied, während sie sich energisch auf die Aufgabe stürzte, an der gesellschaftlichen Bildung ihres Schwiegersohns zu arbeiten. Aber auch Susies Mutter hatte schließlich nichts an dem Haus auszusetzen gefunden. Es hatte ihn seine gesamten Ersparnisse gekostet, und die Hypothek war die höchste, die er sich bei seinem Einkommen leisten konnte, aber es stand da als solides Symbol der beiden Dinge, die ihm am wichtigsten im Leben waren: seine Ehe und sein Beruf.
Susie hatte zwar eine Ausbildung als Sekretärin absolviert, diese Laufbahn aber anscheinend mit Freuden aufgegeben. Hätte sie weiterarbeiten wollen, er hätte sie darin unterstützt, wie er es mit allen Interessen tun würde, die sie entwickelte. Am liebsten aber war es ihm, daß sie mit Haus und Garten glücklich und zufrieden war und ihn erwartete, wenn er am Ende des Tages nach Hause kam. Es war zwar nicht jene Art von Ehe, wie sie augenblicklich in Mode war, und auch keine, wie sie sich die meisten Ehepaare leisten konnten; aber es war seine Art von Ehe, und er war dankbar dafür, daß es auch ihre zu sein schien.
Damals, als er sie heiratete, hatte er sie nicht geliebt, das war ihm jetzt klar. Ja, er würde sogar sagen, daß er kaum die Bedeutung des Wortes Liebe kannte, denn es hatte nicht das geringste zu
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