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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Alices unbewegtem Blick stand. »Diese zwei jungen Frauen«, begann sie, »Caroline und Amy – die Leute behaupten, sie hätten Hilary Robarts umgebracht. Glaubst du das auch?«
    »Nein. Warum?«
    »Ich glaube es ebensowenig. Meinst du, die Polizei versucht, ihnen den Mord anzuhängen?«
    Alices Ton war kühl. »Nein, ich glaube nicht. Ist das nicht eine ziemlich dramatische Vorstellung? Warum sollten sie? Ich halte Chief Inspector Rikkards für einen aufrechten und gewissenhaften Beamten, wenn auch nicht unbedingt für intelligent.«
    »Na ja, das käme ihnen doch gelegen, nicht wahr? Zwei tote Verdächtige. Fall gelöst. Kein weiteren Mordopfer mehr.«
    »Waren sie wirklich Verdächtige? Rikkards scheint dir mehr anvertraut zu haben als mir.«
    »Sie hatten kein Alibi. Der Mann von Larksoken, mit dem Caroline angeblich verlobt war – Jonathan Reeves, hieß er nicht so? –, hat offenbar gestanden, daß sie an jenem Abend doch nicht zusammen waren. Caroline hat ihn gezwungen, in diesem Punkt zu lügen. Das wissen die meisten Angestellten von Larksoken inzwischen. Und es spricht sich natürlich im Dorf herum. George Jago rief mich an, um es mir mitzuteilen.«
    »Na schön, dann hatten sie eben kein Alibi. Das hatten andere Leute auch nicht – du zum Beispiel. Kein Alibi zu haben ist noch kein Schuldbeweis. Ich hatte übrigens auch keins. Ich war den ganzen Abend zu Hause, glaube aber kaum, daß ich das beweisen kann.«
    Nun war er gekommen, der Moment, der Meg seit dem Mord nicht mehr aus dem Kopf ging, der Augenblick der Wahrheit, vor dem sie sich fürchtete. Mit trockenen, harten Lippen entgegnete sie: »Aber du warst nicht zu Hause, stimmt’s? Als ich am Montag vormittag hier in der Küche saß, hast du zu Chief Inspector Rikkards gesagt, du wärst hier gewesen, aber das war gelogen, nicht wahr?«
    Sekundenlang blieb alles still. Dann erkundigte sich Alice gelassen: »Ist es das, weswegen du gekommen bist?«
    »Ich weiß, daß du mir das erklären kannst. Es ist lächerlich, diese Frage überhaupt zu stellen. Ich trage sie nur schon so lange mit mir herum. Und du bist meine Freundin. Unter Freunden sollte man so etwas fragen können. Unter Freunden sollten Aufrichtigkeit und Vertrauen herrschen.«
    »Welche Frage? Mußt du unbedingt wie eine Eheberaterin reden?«
    »Die Frage, warum du der Polizei gesagt hast, du wärst um 9 Uhr hier gewesen. Das warst du nicht. Aber ich war hier. Nachdem die Copleys abgereist waren, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, dich zu sehen. Ich habe anzurufen versucht, aber da kam nur der Beantworter. Ich habe keine Nachricht darauf hinterlassen; das wäre sinnlos gewesen. Statt dessen bin ich hergekommen. Das Haus war leer. Im Wohnzimmer und in der Küche brannte Licht, und die Tür war abgeschlossen. Ich habe nach dir gerufen. Der Plattenspieler lief, sehr laut sogar. Das Haus war von triumphierender Musik erfüllt. Aber es war niemand da.«
    Alice saß eine Weile schweigend da. Dann sagte sie ruhig:
    »Ich habe einen Spaziergang im Mondschein gemacht. Auf zufällige Besucher war ich nicht gefaßt. Außer dir gibt es niemals zufällige Besucher, und ich dachte, du wärst in Norwich. Trotzdem habe ich die üblichen Sicherheitsmaßnahmen gegen Eindringlinge getroffen und die Haustür abgeschlossen. Wie bist du hereingekommen?«
    »Mit deinem Schlüssel. Das kannst du doch nicht vergessen haben, Alice! Vor einem Jahr hast du mir einen Schlüssel gegeben. Seitdem ist er in meinem Besitz.«
    Alice blickte sie an, und Meg sah in ihrem Gesicht das Aufdämmern einer Erinnerung, von Bedauern und sogar, bevor sie sich kurz abwandte, die Andeutung eines reuevollen Lächelns. Dann sagte Alice: »Das hatte ich tatsächlich vergessen, vollkommen vergessen. Wie seltsam! Es hätte mich wohl auch nicht beunruhigt, wenn ich es nicht vergessen hätte. Schließlich glaubte ich dich in Norwich. Aber ich hatte es vergessen. Wir haben so viele Hausschlüssel, einige hier, einige in London. Aber du hast mich nie daran erinnert, daß du einen hast.«
    »Doch, einmal, ganz am Anfang, und du hast mir geantwortet, ich solle ihn behalten. Törichterweise hab ich mir eingebildet, dieser Schlüssel bedeute etwas – Vertrauen, Freundschaft –, er sei ein Symbol dafür, daß mir Martyr’s Cottage immer offensteht. Du hast mir erklärt, daß ich ihn eines Tages vielleicht brauchen könnte.«
    Nun lachte Alice laut heraus. »Und du hast ihn tatsächlich gebraucht«, sagte sie. »Welch eine Ironie! Aber es

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