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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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hatte ihn in seinen beiden Entschlüssen bestärkt. Sie würde nicht mit ihm nach London ziehen, noch würde er sie als Betriebsleiterin von Larksoken empfehlen. Trotz all ihrer Tüchtigkeit, ihrer Intelligenz, ihrer sachgerechten Ausbildung war sie für diese Stellung nicht geeignet. Der Gedanke kam ihm, daß er vielleicht eben diese Karte ausspielen könne: »Ich schlage dir zwar keine Heirat vor, aber ich biete dir die ranghöchste Position an, die du je anstreben könntest.« Aber er wußte sogleich, daß diese Idee nur wenig Verlockendes an sich hatte. Die Verwaltung von Larksoken würde er ihr nie anvertrauen. Früher oder später mußte sie einsehen, daß es weder eine Heirat noch eine Beförderung geben würde. Aber der Zeitpunkt war jetzt ungünstig, und er fragte sich bedrückt, wann sich je eine günstige Gelegenheit ergeben sollte.
    »Begreif doch«, sagte er statt dessen, »daß es unsere Pflicht ist, das AKW effizient und ohne jegliches Risiko zu leiten. Wir erfüllen eine notwendige, eine wichtige Aufgabe. Selbstverständlich müssen wir uns mit allen Kräften dafür einsetzen, sonst wären wir nicht hier. Aber wir sind Wissenschaftler oder Techniker, keine Kreuzzügler. Wir führen keinen Glaubenskrieg.«
    »Aber die tun es. Die andere Seite tut es. Er tut es. Für dich ist Neil Pascoe ein bedeutungsloser Einfaltspinsel. Doch das ist er nicht. Er ist verlogen und gefährlich. Denk doch nur daran, wie er in sämtlichen verfügbaren Krankengeschichten herumschnüffelt, um vereinzelte Fälle von Leukämie aufzuspüren, die er der Nutzung der Atomenergie anlasten könnte! Hinzu kommt noch der neueste Comare-Report, der ihm Argumente für sein verschrobenes Anliegen liefert. Dann der Info-Brief vom letzten Monat mit all dem wehleidigen Unsinn über Züge, die um Mitternacht ihre Todesfracht durch die nördlichen Vorstädte von London transportieren! Die Leser könnten meinen, man befördere offene Lastwagen mit radioaktivem Abfall. Kümmert es ihn nicht, daß die Atomenergie es der Welt bis jetzt erspart hat, fünfhundert Millionen Tonnen Kohle mehr zu verheizen? Hat er noch nichts vom Treibhauseffekt gehört? Ist dieser Narr wirklich so unbedarft? Hat er denn keinen Begriff von den Verwüstungen, die die Verfeuerung fossiler Brennstoffe auf unserem Planeten auslöst? Hat ihn niemand über den sauren Regen oder die krebserregenden Stoffe in den Kohlerückständen informiert? Wenn wir schon von Gefahren sprechen – was ist mit den siebenundfünfzig Kumpeln, die in diesem Jahr bei der Bergwerkskatastrophe von Borken verschüttet wurden? Zählt ihr Leben denn nicht? Was hätte es für einen Aufschrei gegeben, wenn es sich um einen Atomunfall gehandelt hätte!«
    »Er ist doch bloß ein schlecht unterrichteter, unwissender Einzelgänger«, erwiderte Alex.
    »Aber er erzielt Wirkung; das siehst du doch. Wir müssen auf seine Leidenschaft mit Leidenschaft antworten.«
    Bei diesem Wort wurde ihm alles klar. In unserem Gespräch geht es nicht um Atomenergie, dachte er, sondern um Leidenschaft. Würden wir so reden, wenn wir einander noch liebten? Sie will, daß ich mich für etwas Persönlicheres einsetze als die Nutzung der Atomkraft. Als er sich ihr zuwandte, überkam ihn unverhofft, nein, keine Leidenschaft, sondern die in diesem Augenblick unangenehme Erinnerung daran, wie sehr er sie einst begehrt hatte. Und mit dieser Erinnerung drängte sich ihm das Bild auf, wie sie beide in ihrem Cottage miteinander schliefen, wie sie sich mit ihren üppigen Brüsten über ihn neigte, wie ihr Haar sein Gesicht streifte, wie sich ihre Lippen, ihre Hände, ihre Hüften anfühlten.
    »Wenn du eine Religion haben willst, wenn du schon eine brauchst, dann such dir gefälligst eine«, sagte er schroff.
    »Die gibt’s zuhauf. Schön, die Abtei liegt in Trümmern, und der tatterige alte Pfaffe im Alten Pfarrhof hat dir nicht viel zu bieten. Such dir was anderes, nimm einen anderen! Iß meinetwegen freitags keinen Fisch, iß überhaupt kein Fleisch, bete den Rosenkranz, streue Asche auf dein Haupt, meditiere viermal am Tag, verneige dich vor deinem ganz persönlichen Mekka! Aber mache um Gottes willen – sollte es ihn überhaupt geben! – nicht die Wissenschaft zu einer Religion!«
    Das Telephon auf dem Schreibtisch schrillte. Da Caroline Amphlett schon gegangen war, war die Leitung durchgeschaltet. Als er nach dem Hörer griff, sah er, daß Hilary an der Tür stand. Sie schaute ihn eindringlich an und ging, wobei sie die

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