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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Tür mit unangebrachter Heftigkeit ins Schloß fallen ließ.
    Seine Schwester war am Apparat. »Gut, daß ich dich noch erwische«, sagte sie. »Fast hätte ich vergessen, dir auszurichten, daß du beim Farmer Bollard die Enten für Donnerstag abholen sollst. Er hat sie schon ausgenommen. Wir werden zu sechst sein. Ich habe auch Adam Dalgliesh eingeladen. Er hält sich wieder mal auf unserer Landzunge auf.«
    Es gelang ihm, ebenso gleichmütig zu sprechen wie sie.
    »Gratuliere! Er und seine Tante haben es fünf Jahre lang mit einigem Geschick fertiggebracht, die Koteletts ihrer Nachbarn auszuschlagen. Wie hast du das nur geschafft?«
    »Ich habe ihn schlichtweg gefragt. Ich dachte mir, wenn er die Mühle als Feriendomizil behalten will, ist es an der Zeit, daß er zur Kenntnis nimmt, daß er Nachbarn hat. Sollte er die Mühle dagegen verkaufen wollen, kann er, ohne sich in vertrauliche Beziehungen verwickeln zu lassen, das Risiko einer Dinnerparty eingehen. Aber du darfst es auch gerne einer schlichten menschlichen Schwäche zuschreiben – der verlockenden Aussicht auf ein gutes Essen, das er nicht selbst zubereiten muß.«
    Obendrein würde das die Balance am Tisch herstellen, auch wenn es seiner Schwester wohl kaum darauf angekommen war, dachte Dr. Mair. Denn sie machte sich sonst lustig über die sogenannte Arche-Noah-Konvention, wonach ein überzähliger Mann, mochte er noch so unansehnlich oder einfältig sein, willkommen war, eine überzählige Frau dagegen, selbst wenn sie geistreich und vielseitig interessiert war, als Belastung galt. »Muß ich denn mit ihm über seine Dichtkunst plaudern?« fragte er.
    »Vermutlich ist er auch deshalb nach Larksoken gefahren, weil er da keine Leute trifft, mit denen er sich über seine Gedichte unterhalten muß. Aber es schadet gewiß nicht, wenn du dich einliest. Ich habe den neuesten Gedichtband da. Es steht tatsächlich Lyrik drin, keine untereinander geschriebene Prosa.«
    »Ist der Unterschied bei moderner Lyrik wirklich so groß?«
    »Aber ja!« antwortete sie. »Liest es sich wie Prosa, ist es auch Prosa. Das ist ein unfehlbarer Test.«
    »Aber keiner, kann ich mir vorstellen, der auf die Fähigkeiten eines Briten zugeschnitten ist. In zehn Minuten fahre ich los. Die Enten vergesse ich schon nicht.«
    Lächelnd legte er auf. Seine Schwester hatte die Gabe, ihn in heitere Stimmung zu versetzen.

9
    Bevor er hinaustrat, blieb er noch einen Augenblick an der Tür stehen und schaute sich in dem Raum um, als sähe er ihn zum ersten Mal. Er wollte den neuen Posten unbedingt haben, hatte ihn mit allen Mitteln angestrebt, sich dafür eingesetzt. Doch nun, da er ihn so gut wie hatte, wurde ihm bewußt, wie sehr er Larksoken vermissen würde, seine Abgeschiedenheit, seine krompromißlose, kraftvolle Kargheit. Man hatte nichts getan, um das Areal zu verschönern, wie etwa Sizewell an der Küste von Suffolk; man hatte keine gepflegten Rasenflächen angelegt, keine blühenden Bäume und Sträucher gepflanzt, wie sie ihn bei seinen gelegentlichen Besuchen in Winfrith, Dorset, so angenehm beeindruckten. An der seewärts gelegenen Grundstücksgrenze hatte man eine niedrige, gekrümmte Feldsteinmauer errichtet, in deren Schutz sich alljährlich zur Frühlingszeit Narzissenhorste schwankend im Märzwind wiegten. Man hatte wenig getan, um die riesigen grauen Betonflächen zu kaschieren oder abzumildern. Doch das behagte ihm eben, die Aussicht auf die aufgewühlte See, braungrau, mit weiß gesäumten Wellen unter einem grenzenlosen Himmel, die Fenster, die er mit einer leichten Handbewegung öffnen konnte, so daß das dumpfe, unentwegte Grollen, das fernem Donner glich, plötzlich in seinem Büro zu ohrenbetäubendem Getöse anschwoll. Am liebsten waren ihm die stürmischen Winterabende, wenn er, an irgendeiner Arbeit sitzend, die am Horizont schimmernden Lichter der Schiffe sehen konnte, die entlang der Küste von Yarmouth dahinzogen, die blinkenden Leuchtschiffe oder den Strahl des Leuchtturms von Happisburgh, der die Seeleute schon seit Jahrzehnten vor den vorgelagerten, tückischen Sandbänken warnte. Selbst in dunklen Nächten konnte Alex in dem schwachen Lichtschein, den das Meer auf geheimnisvolle Weise eingefangen hatte und nun widerspiegelte, den markanten, aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden Westturm der Kirche von Happisburgh erspähen, dieses trutzige Mahnmal für den verbissenen Kampf der Menschen gegen das gefährlichste aller Meere. Doch der Turm verkörperte

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