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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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wird, damit man fetales Gewebe gewinnt.«
    »Dagegen könnte ich einwenden«, sagte Alex Mair, »daß es noch nicht ein Kind ist, das da getötet wird, und daß Abscheu vor einer Handlung nicht allein schon der Beweis ihrer Immoralität ist.«
    »Wieso nicht?« entgegnete Dalgliesh. »Sagt Mrs. Dennisons natürliche Abscheu nichts über die einer Handlung zugrundeliegende Moral aus?«
    Mrs. Dennison lächelte ihn dankbar an und sagte: »Beschwört nicht die Verwendung von fetalem Gewebe Gefahren herauf? Es könnte dazu führen, daß die Armen auf unserer Welt Kinder zeugen, damit mit den abgetriebenen Föten den Reichen geholfen wird. Es gibt doch schon einen Schwarzmarkt für menschliche Organe. Meinen Sie nicht, daß ein Multimillionär, der ein Herz-Lungen-Transplantat braucht, es auch bekommt?«
    Alex Mair verzog das Gesicht zu einem amüsierten Lächeln.
    »Ich hoffe, Sie deuten damit nicht an, daß wir absichtlich Informationen unterdrücken oder den wissenschaftlichen Fortschritt aufhalten sollten, nur weil bestimmte Entdeckungen mißbraucht werden könnten. Wenn es einen Mißbrauch gibt, sollte man gesetzlich dagegen einschreiten.«
    »Sie machen es sich leicht«, wandte Meg Dennison ein.
    »Wenn wir allein mit gesetzlichen Maßnahmen irgendwelchen gesellschaftlichen Mißständen ein Ende setzen könnten, würde Mr. Dalgliesh beispielsweise ohne Arbeit dastehen.«
    »Leicht ist es nicht, aber man versucht es. Das zeichnet eben uns Menschen aus, daß wir mit Hilfe unserer Intelligenz eine Wahl treffen.«
    Alice Mair erhob sich. »Ich denke, wir könnten jetzt auch eine Wahl, wenngleich auf einer anderen Ebene, treffen. Wer von Ihnen möchte einen Kaffee und was für einen? Draußen stehen ein Tisch und Stühle. Wir könnten das Hoflicht anmachen und im Freien sitzen.«
    Sie durchquerten das Wohnzimmer. Alice Mair öffnete die Terrassentür zum Patio. Sogleich schlug ihnen das dumpfe Rauschen des Meeres entgegen und ergriff mit unwiderstehlicher Macht Besitz von dem Raum. Doch als sie dann draußen in der kühlen Luft standen, war das Getöse viel gedämpfter, nur noch ein fernes Brodeln. Auf der Straßenseite säumte den Patio eine hohe Feldsteinmauer, die nach Süden und Osten hin wesentlich flacher zulief und so einen Ausblick auf die Landzunge bis hin zum Meer gewährte.
    Nachdem Alex Mair das Tablett mit dem Kaffee hinausgebracht hatte, schlenderten die Gäste, den Unterteller mit der Kaffeetasse in der Hand, unschlüssig zwischen den Terrakotta-Töpfen umher wie Fremde, die sich einander nicht vorstellen mochten, oder wie Schauspieler auf einer Bühne, die in sich selbst versunken waren, ihren Text memorierten und auf den Probenbeginn warteten.
    Da keiner einen Mantel anhatte, zeigte es sich bald, daß die Abendluft doch nicht mehr so warm war. Als sie alle wie auf ein Kommando dem Cottage zustrebten, leuchteten die Scheinwerfer eines Autos auf, das gerade in rascher Fahrt die südliche Straßenkuppe nahm. Es näherte sich und verlangsamte die Geschwindigkeit.
    »Das ist Lessinghams Porsche«, konstatierte Mair.
    Stumm sahen alle zu, wie der Wagen von der Straße abbog und auf dem Wiesenboden scharf abgebremst wurde. Als hätten sie das vorher abgesprochen, scharten sich die Gäste in einem Halbkreis um Alex Mair wie ein Begrüßungskomitee, das sich aber von dem Neuankömmling eher Mißliches als Vergnügliches versprach. Dalgliesh spürte die wachsende Spannung. Alle schauten wie gebannt zum Wagen hin, dem eine hohe Gestalt entstieg. Sie sprang mühelos über die niedrige Steinmauer und ging entschlossen auf sie zu. Lessingham ignorierte Mair und trat auf dessen Schwester zu. Er küßte ihr die Hand – eine theatralische Geste, die, wie Dalgliesh meinte, Alice Mair verblüffte. Die übrigen verfolgten sie mit kritischer Aufmerksamkeit.
    »Es tut mir furchtbar leid, Alice«, sagte Lessingham. »Fürs Dinner wird’s wohl schon zu spät sein, aber nicht für einen Drink, hoffe ich. Und bei Gott, ein Drink würde mir guttun.«
    »Wo sind Sie denn so lange gewesen? Wir haben vierzig Minuten mit dem Essen auf Sie gewartet«, fragte Hilary Robarts mit anklagender Stimme. Es klang fast wie eine keifende Ehefrau.
    Lessinghams Blick ruhte immer noch auf Alice Mair. »In der letzten Viertelstunde habe ich nachgedacht, was ich auf diese Frage antworten könnte«, erwiderte er. »Ich könnte erklären, ich habe der Polizei bei ihren Ermittlungen geholfen, ich sei in einen Mordfall verwickelt worden, oder daß

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