Vorsicht, frisch verliebt
Steuerformulare stets peinlich ehrlich aus, also war es eindeutig ein ärgerlicher Fehler des Computers. Trotzdem schaffte sie ihn besser umgehend aus der Welt. Auch wenn sie Tom nur ungern störte, wenn er krank im Bett lag, müsste er diese Sache doch sofort am nächsten Morgen klären.
»Marylin, ich bin es, Isabel. Ich muss dringend mit Tom sprechen.«
»Tom?«, fragte die Frau ihres Buchhalters mit einer Stimme, als hätte sie getrunken. Isabels eigene Eltern hatten regelmäßig derart schrecklich gelallt. »Tom ist nicht da.«
»Freut mich, dass es ihm wieder besser geht. Wann erwarten Sie ihn denn zurück? Ich fürchte, wir haben einen Notfall.«
Marylin schniefte. »Ich - ich hätte mich längst bei Ihnen melden sollen, aber ...« Sie begann zu weinen. »Aber ich ich konnte es einfach nicht...«
»Was ist passiert? Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
»Es ist wegen T-Tom. Er ist - er ist -« Die Schluchzer ratterten durch ihre Kehle wie ein Presslufthammer durch Asphalt. »Er ist ... m-m-m-mit meiner Sch-sch-schwester nach S-s-s-südamerika durchgebrannt!«
Und zwar nicht nur mit der Schwester seiner Ehefrau, sondern, wie sie weniger als vierundzwanzig Stunden später genau wusste, auch mit Isabels gesamtem Geld.
Während der Gespräche mit der Polizei und der langen Reihe schmerzlicher Termine beim Finanzamt stand Michael Sheridan ihr treu zur Seite. Er war nicht nur ihr Anwalt, sondern der Mann, den sie liebte. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie eine größere Dankbarkeit dafür empfunden, dass es diesen Menschen gab. Doch nicht einmal seine Nähe reichte, um die Katastrophe abzuwenden, und Ende Mai, acht Wochen nach Erhalt des schicksalhaften Schreibens, sah Isabel ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
»Ich werde alles verlieren.« Sie rieb sich die Augen und warf ihre Tasche auf den antiken Stuhl im Wohnzimmer ihres in der Upper East Side gelegenen Apartments. Die warme Kirschholzvertäfelung des Raumes und die handgeknüpften Orientteppiche schimmerten im weichen Licht der Frederick-Cooper-Lampen. Sie wusste, dass irdische Besitztümer vergänglich waren, dass sie jedoch so vergänglich wären, hätte sie nicht gedacht.
»Ich werde die Wohnung verkaufen müssen - meine Möbel meinen Schmuck, meine Antiquitäten.« Ebenso musste ihr Wohltätigkeitsfonds aufgelöst werden, mit dem sie so viel Gutes auf unterster Ebene hatte bewirken können. Alles wäre fort.
Damit erzählte sie ihrem Verlobten nichts, was er nicht bereits wusste. Dadurch, dass sie es aussprach, versuchte sie lediglich, es real werden zu lassen, damit sie sich daran gewöhnte. Als keine Antwort von ihm kam, bedachte sie ihn mit einem entschuldigenden Blick. »Du bist den ganzen Abend so still. Ich habe dich mit meinem Gejammer sicherlich erschöpft.«
Bisher hatte er aus dem Fenster hinunter auf den Park gesehen, nun aber wandte er sich ihr zu. »Du bist keine Frau, die jemals jammert, Isabel. Du versuchst lediglich, dich neu zu orientieren.«
»Taktvoll wie immer.« Sie verzog den Mund zu einem reuevollen Lächeln und rückte eins der Kissen auf der Couch zurecht.
Sie und Michael lebten nicht zusammen - von so etwas hatte sie noch nie etwas gehalten aber manchmal hätte sie doch gerne ein gemeinsames Heim gehabt. Getrennte Wohnungen bedeuteten, dass sie einander nur selten sahen. In letzter Zeit hatten sie Glück gehabt, wenn Samstagabend ein gemeinsames Essen klappte. Und was den Sex betraf ... sie konnte sich nicht daran erinnern, wann zum letzten Mal einem von ihnen danach zumute gewesen war.
Als Isabel Michael Sheridan getroffen hatte, war ihr sofort klar gewesen, dass es eine tiefe Seelenverwandtschaft zwischen ihnen beiden gab. Sie beide kamen aus nicht funktionierenden Familien und hatten sich ihr Studium durch harte Arbeit selbst verdient. Er war intelligent und ehrgeizig und ebenso ordentlich und seiner Karriere verpflichtet wie sie selbst. Er hatte ihr bei der endgültigen Fassung ihrer Vorträge über die vier Ecksteine geholfen und hatte, als sie vor zwei Jahren ein Buch über gesunde Beziehungen geschrieben hatte, in einem Kapitel die männliche Sichtweise erklärt. Ihre Anhänger wussten alles über ihre Beziehung und fragten pausenlos, wann denn endlich der Termin für ihre Hochzeit wäre.
Außerdem empfand sie sein nettes, dezentes Äußeres als tröstlich. Er hatte ein schmales, längliches Gesicht und sorgfältig geschnittenes, mittelbraunes Haar. Er war nur einen Meter fünfundsiebzig groß,
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