Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
sie und lehnte sich enttäuscht zurück. »Na ja, immerhin hast du gehen gelernt. Jetzt mußt du die Bewegungen des Tanzes lernen.«
»Was ?«
»Du mußt dir Anmut aneignen und damit aufhören, blind herumzustolpern, sonst bringst du dich noch um.«
Er machte ein finsteres Gesicht. Das ihm inzwischen schon vertraute Gefühl der Leere und Unzulänglichkeit suchte ihn wieder heim. »Manches habe ich bereits gelernt. Ich kann die Karibus rufen«, sagte er trotzig.
Abweisend schüttelte sie den Kopf. »Nein, das meinte ich nicht. Jedes Wesen hüpft wild herum in seinem ureigensten Tanz, doch darunter verbirgt sich ein einziger Großer Tanz.«
Ständig quasselt sie dummes Zeug. Das Große dies, das Große das. Warum sagt sie nicht klipp und klar, was sie meint? »Ich begreife nicht, was du meinst.«
Sie hob eine Hand. Ihre hypnotisierenden dunklen Augen drangen tief in seine Seele und zogen ihn unwiderstehlich an. Sie zerrte die Fußmatten aus Wolfspelz vom Feuer weg. Anschließend holte sie mit einem aus dem Schulterblatt eines Tieres gefertigten Löffel glühende Holzkohlenstückchen aus dem Feuer und verteilte sie auf einem großen Stein. Die durch das Türfell hereinströmende Zugluft brachte die Glut zum Zischen.
Ohne ihre Augen von Wolfsträumer abzuwenden, bewegte sie schlängelnd ihre Finger und Hände.
Nach einer Weile ballte sie die Hände zu Fäusten, als wolle sie ihre Muskeln zeigen. Sie ließ sich auf die Knie nieder und beugte sich über die Kohlen. Ihr silbrig durchsetztes schwarzes Haar wirkte wie ein Schleier.
Die Finger beider Hände miteinander verflechtend, schloß sie die Augen, atmete tief ein und begann eine eigenartige, monotone Melodie zu summen. Eine heitere Gelassenheit entspannte ihre Gesichtszüge, ihre Falten glätteten sich. Sie schien plötzlich um Jahre verjüngt. Dann legte sie beide Handflächen flach auf die glühenden Kohlen und verlagerte ihr ganzes Gewicht auf die Glut.
Wolfsträumer stöhnte auf und blickte fragend zu Gebrochener Zweig. Erstarrt vor Angst beobachtete er, wie Reiher die auf ihren Händen wie rote Augen glühenden Kohlen hoch über ihren Kopf hob.
Wie lange noch? Er wagte kaum zu atmen.
Noch immer diese seltsame Melodie summend, drückte Reiher die Kohlen auf Lippen und Stirn.
Schließlich steckte sie die Stücke in den Mund, rollte sie hin und her und spuckte sie wieder aus. Die Kohlen fielen auf die vor ihr liegenden Felle, die sich schwarz färbten und zu schwelen begannen. Ein leichter Qualm stieg auf, Pelzhaare schnurrten zischend zusammen und schwängerten mit ihrem Gestank die Luft. Ekstase zeigte sich auf Reihers Gesicht. Noch immer hielt sie die Augen geschlossen und summte unentwegt dieselbe Melodie. Plötzlich holte sie tief Luft und atmete lautstark durch die Nase aus.
Wolfsträumer streckte die Hände aus und berührte ihr Gesicht. Er betastete die Stellen, an denen die glühenden Kohlen sie versengt haben mußten. Aber die Haut fühlte sich glatt und kühl an.
Sie öffnete die Augen. Zuerst schien sie nicht zu wissen, wo sie sich befand und blinzelte verwirrt. Sie legte den Kopf schief und sah zu Wolfsträumer hinüber. Er machte den Eindruck, als verliere er gleich die Nerven.
»Dein Gesicht… deine Hände«, flüsterte er fassungslos. Ein Gefühl des Grauens beschlich ihn.
Sie erhob sich und zeigte ihm erst die eine, dann die andere Hand. Sie hielt ihr Gesicht ins Licht und präsentierte ihm beide Wangen. Staunend beugte er sich vor und fuhr mit den Fingern über das im Fell eingebrannte Loch. Sofort zog er die Hand zurück. Er hatte sich die Finger versengt.
Atemlos stieß er hervor: »Wie?«
»Noch nicht einmal ein Bläschen.« Herausfordernd warf sie ihr Haar über die Schultern.
»Das ist unmöglich!«
Gelassen fegte Reiher die restlichen Kohlen und Holzkohlen ins Feuerloch und warf einen kurzen Blick auf Gebrochener Zweig, die reglos auf ihrem Platz saß.
»Mach den Mund zu, du häßliches altes Weib«, rügte Reiher.
Gebrochener Zweig gehorchte, ohne nachzudenken. »Wie hast du das gemacht?«
»Ich tanzte mit den Kohlen.«
Wolfsträumer ließ sie nicht aus den Augen. Dunkel begann er zu ahnen, welche Bedeutung hinter ihren Worten lag. »Mit?«
»Ja. Nicht gegen.«
»Soll das heißen, du hast mitgetanzt im Großen Tanz der Kohlen? Du bist für einen Augenblick auf ihrem Weg gegangen?«
»Nicht ganz. Verborgen unter dem Tanz der Kohlen liegt der Eine Tanz. Für einen Augenblick trat ich in die Mokassins des Einen.«
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