Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
ertappte, zwinkerte sie auch diesmal dabei vergnügt mit den Augen. »Der Junge wächst als einer von uns auf.«
»Kannst du dir vorstellen, daß Rabenjäger das Kind töten wollte? Jedenfalls hat er das gesagt.«
»Er ist verrückt.« Energisch hob Grünes Wasser das Kinn, lange schimmernde Haarsträhnen fielen ihr über die Schultern. Ihr breiter Mund verzog sich unwillig.
»Hoffentlich ist er nicht wahnsinnig, wie Tanzende Füchsin behauptet.«
Tanzende Füchsin seufzte tief. »Das ist er aber, leider.«
Gedankenvoll sah Grünes Wasser Der der schreit an. »Ich habe gehört, daß du den meisten Stammesführern den Weg zu Reihers Tal beschrieben hast.«
Ein paar Fuß weiter hatte Singender Wolf einen Holzstab zur Hand genommen, mit dem er kleine Blättchen von dem zweischneidigen Steinwerkzeug abschlug, das er zum Zerlegen des Mammuts verwendete. Der kalte Wind trug dieses vertraut klappernde Geräusch zu Der der schreit. Für ihn klang es immer angenehm und beruhigend. Erstaunt fragte er sich, warum es ihn diesmal beunruhigte.
Er holte tief Luft, atmete kräftig aus und beobachtete seinen in der Kälte kondensierenden Atem. Die Luft schnitt scharf in seine Lungen. Sie roch nach Mammut und zertrampeltem Wermut. Im Norden brauten sich vom Salzwasser herüberziehende, dunkle Wolkenbänke zusammen. Es sah nach einem schweren Sturm aus.
»Wenn die Anderen in diesem Winter kommen, und wenn es wirklich so viele sind, wie Blaubeere sagt, bleibt uns nur dieser einzige Weg.«
»Und wenn aus Reihers Tal kein Weg herausführt?«
Er verdrehte die Augen und gluckste vergnügt in sich hinein. »Na ja, vielleicht treibt Reiher sie mit einem Traum zurück, ha?«
»Mein Volk!« Der Wind trug einen schwachen Ruf zu ihnen.
Sofort erhob sich Singender Wolf. Mit einer blutverkrusteten Hand beschattete er seine Augen und blickte nach Norden. Hüpfender Hase warf das Fell zu Boden, das er gerade zuschnitt, und verrenkte sich fast den Hals, um besser sehen zu können.
»Sieht aus, als wäre es Drei Stürze«, meinte Singender Wolf. »Was macht er hier? Ich dachte, er wäre mit Schafnase in die Jagdgründe im Norden gezogen.«
»Ich sehe Maus«, rief Hüpfender Hase. »Ich erkenne sie am Gang. Ihr Beinbruch ist nie richtig verheilt. Sie hat es sich damals gebrochen, als der Speer von Treffender Blitz den Büffel am Salzwasser nicht erwischt hat. Da kommen noch mehr. Jede Menge Leute sind im Anmarsch.«
Grünes Wasser gackerte aufgeregt. »Das ist kein gutes Zeichen. Geht hin und seht nach.«
Der der schreit hob seine Speere auf und trottete um den Felsen, der ihn vor der Mammutkuh geschützt hatte. Die Hunde bellten und knurrten und fochten ihre Kämpfe mit der Meute von Schafnases Leuten aus.
Drei Stürze führte die Gruppe an. Ihm folgten Frauen mit schweren Rückentragen. Müde schleppten sie sich vorwärts. Direkt hinter ihnen gingen ein paar Jäger. Am Horizont tauchten weitere schwer bepackte Gestalten auf. Die Nachhut bildeten erschöpfte, kraftlose Menschen, die jeden Augenblick zusammenzubrechen drohten. Niemand beachtete die im Kampfgetümmel kläffenden Hunde. Die Rudel schienen einander gegenseitig in Stücke reißen zu wollen.
Der der schreit ging den Leuten entgegen. Er spürte sofort, daß etwas nicht stimmte. »Drei Stürze!«
rief er. »Willkommen. Wir haben ein Mammut erlegt. Euch erwartet ein würdiges Festmahl.«
Eine Welle der Erleichterung erfaßte die Ankömmlinge. Maus mit kurzgeschnittenen Haaren als Zeichen der Trauer um Treffender Blitz hob den Kopf. Das jüngste Kind streckte den Kopf unter ihrer Kapuze hervor. Daneben trottete ihre kleine Tochter. Immer mehr kamen in weit auseinandergezogenen Gruppen über die Anhöhe im Norden.
»Da gehen sie hin, unsere Fleischvorräte für den Winter«, murmelte Der der schreit.
Drei Stürze hob in einer Gebärde des Dankes die Hände. »Wir freuen uns auf euer Festmahl, Der der schreit, und danken dem Heiligen Volk der Sterne für eure Gastfreundschaft.«
»Ihr habt nicht viele Vorräte bei euch. Auch die Hunde sind sehr mager. Was ist vorgefallen?«
Drei Sturzes Augen flackerten unsicher. Er biß sich auf die Lippen. »Wir hatten eine gute Jagd. In einem kleinen Tal stießen wir auf eine Herde erschöpfter Schafe. Hätte nicht besser sein können. Wir schlachteten sie und errichteten Vorratslager. Der Dauerfrost hätte das Fleisch frischgehalten. Wir dachten, wir könnten den ganzen Winter bleiben, weil wir annahmen, die Anderen hätten sich
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