Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
Sie kennt das Mammutvolk.«
Der der schreit hatte ihre leisen Worte verstanden und nickte zustimmend mit dem Kopf.
Tanzende Füchsin mühte sich noch immer mit dem Abfüllen des heißes Fettes ab. Gerade drückte sie die sich durch die Hitze ausdehnende Luft aus einem Stück Darm. »Ich sage ja, er ist verrückt.«
»Singender Wolf ist anderer Meinung, auch wenn ihm das, was Rabenjäger von den jungen Männern verlangt, nicht gefällt. Vielleicht müssen wir wirklich kämpfen.«
»Rabenjäger wird sich noch umbringen auf seinem Kriegspfad.«
»Er wird uns noch alle umbringen«, mischte sich Der der schreit in die Unterhaltung der Frauen ein.
Schweigen folgte. Er wandte seine Aufmerksamkeit Lachender Sonnenschein und Brachvogellied zu, die lange Fleischstreifen aus einer Mammutschulter schnitten und sie unter lautem Gelächter über die Äste einer Weide hängten. Im Laufe der nächsten Wochen würde das Fleisch im kalten Wind gefriertrocknen.
Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Der der schreit Brachvogellied. Sie war jung und hübsch.
Immer wieder wanderte ihr Blick hinüber zu Hüpfender Hase, der eben den Brustkorb des Mammuts freilegte. Singender Wolf schnitt die Sehnen aus dem Muskelgewebe zwischen Fell und Fleisch.
Die junge Frau hatte Hüpfender Hases Lebensgeister nach dem Verlust seiner Mutter Grauer Fels wieder geweckt. Er hatte sie sofort nach seiner Rückkehr vom Kriegspfad zur Frau genommen. Sie stammte aus dem Büffelrücken-Lager und gehörte dem Möwen-Clan an. Brachvogellied war seine Hauptfrau, Mondwasser, gefangengenommen nach einem Überfall auf die Anderen, seine Nebenfrau.
Mondwasser fügte sich nur schwer in ihr Schicksal. Verdrossen blickte sie zu Hüpfender Hase hinüber. Ein unheimliches Feuer loderte in ihren Augen. Sie bereitete ihrem Mann nichts als Sorgen, das wußte Der der schreit genau. Trotzdem übten ihr geschmeidiger Körper und die unnachahmliche Anmut ihrer Bewegungen eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. In der Phantasie stellte er sich vor, sie auszuziehen, seine Hände über ihre vollen Brüste gleiten zu lassen bis hinunter zu der Stelle, an der sich ihre Beine teilten …
Seine Träumerei wurde jäh unterbrochen. Ein harter Ellenbogenstoß in seine Rippen schreckte ihn auf.
Verblüfft schaute er in die Augen von Grünes Wasser. Sie drohte ihm mit der Faust. In ihren Augen las er, daß sie seine Gedanken ziemlich genau erraten hatte.
»Sind nur Tagträume«, brummte er.
»Sicher, sicher«, knurrte Grünes Wasser grimmig, aber mit einem Augenzwinkern.
Der der schreit grinste albern und machte sich aus dem Staub. Er marschierte hinüber zu Singender Wolf und nahm ihm einen Armvoll Fett ab, das dieser gerade herausgeschnitten hatte.
Die in Gefangenschaft geratenen Frauen der Anderen waren auf alle Lager des Volkes verteilt worden.
Sie wurden von den älteren Frauen in den Legenden und Mythen unterrichtet, um sie zu Angehörigen des Volkes zu machen obgleich sie auch dann immer Frauen zweiter Klasse blieben. Die Gefangenen lernten schnell. Die meisten fügten sich widerwillig in ihr Schicksal. Griesgrämig, aufsässig, waren sie ihren neuen Männern häufig mehr Last als Freude. Manche resignierten, aber viele versuchten zu fliehen.
»Wie lange noch?« erkundigte sich Grünes Wasser und blickte auf den rasch wachsenden Fetthaufen, den Der der schreit aufschichtete.
Er streckte sich und rieb sich den schmerzenden Rücken. Gleichzeitig versuchte er, die Fettklumpen von seinen dicken Fingern zu wischen. »Vielleicht zwei Wochen. Dann reicht der Frost bereits tief in den Boden. Andererseits liegt noch wenig Schnee. Da fällt das Gehen leichter.«
»Je früher, desto besser. Singender Wolf macht sich große Sorgen.«
»Ich auch«, gab Der der schreit zu. »Sie schlagen bestimmt zurück. Nach allem, was Blaubeere sagt, bleibt ihnen gar keine andere Wahl.«
Liebevoll sah Grünes Wasser ihren Mann an. »Ich glaube, sie weiß weit mehr über die Anderen als Rabenjäger. Ich habe ihr gut zugehört und finde, die Männer sollten ihre Worte nicht leichtfertig in den Wind schlagen. Wenn auch nur die Hälfte von dem, was sie erzählt, wahr ist…«
» … dann stecken wir in großen Schwierigkeiten«, vollendete Der der schreit den Satz. Er blickte zu Blaubeere hinüber, die gerade eine Pause machte, um ihr Kind zu stillen.
Grünes Wasser stupste ihn an. Leiser Vorwurf lag in ihrem Blick. Aber wie immer, wenn sie ihren Mann bei seiner offenkundigen Schwäche
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