Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
sehe ich wirklich.«
Er wich zurück und blickte sie skeptisch an. »Mir wird das wohl nicht gefallen, was du mir zu sagen hast, oder?«
»Ich habe das Große Eine geträumt, Stilles Wasser. Ich habe es geträumt.«
»Ich fühlte… etwas.« Auf den Fersen wippte er vor und zurück. »Ich hörte die Stimmen des Wolfsbündels. Ich glaube, die Zeit ist gekommen. Wir müssen fortgehen.«
»Hast du auch das Große Eine geträumt?«
Entgeistert starrte er sie an. »Wenn das das Große Eine ist, will ich nichts damit zu tun haben.«
Sie ergriff seine Hände. »Erzähl es mir.«
Sein Gesicht wurde hart. »Ich sah den lahmen Krieger Tapferer Mann. Er schritt durch eine Welt voller Toter. Blut tränkte die Erde, und Leute mit schrecklicher Angst in den Augen hoben die Hände zu ihm hinauf. Im Traum sah er mich an, und seine Augen waren erfüllt vom Bösen.« Er schluckte.
»Er hielt das Wolfsbündel hoch, und ich fühlte dessen Macht.« Stilles Wassers Gesicht verzerrte sich.
»Er hat seine Macht gegen das Volk gewandt, seine Macht für Böses benutzt. Er ist ein Hexer geworden!«
KAPITEL 26
»Ich fühle mich unendlich verloren«, flüsterte Weiße Esche Stilles Wasser ins Ohr. Sie lagen unter den Decken, behagliches Feuerlicht flackerte über die rußigen Felswände in Singende Steines Höhle. Plage lag der Länge nach ausgestreckt vor ihnen und beobachtete sie aus sanften Augen. Noch immer verweilten Spuren des Großen Einen in Weiße Esche, so mächtig, daß ihr die vertraute Höhle wie ein fremder Ort erschien.
Stilles Wasser zog sie an sich. »Ich bin ja da. Ich werde immer für dich dasein.«
Sie schloß die Augen und umklammerte seinen Arm. »Es ist, als sei ich in eine neue Welt geboren worden. Nichts ist mehr, wie es war. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Das Große Eine zieht mich unwiderstehlich an.« Sie schüttelte den Kopf. »Nun verstehe ich, was Singende Steine meinte, als er sagte, man fühle sich wie ein Nachtfalter, der um ein Feuer flattert.«
»Wir schaffen es schon, wir beide.« Er verstummte. »Zusammen sind wir stärker als jeder für sich allein. Vielleicht hat uns die Macht aus diesem Grund zusammengeführt.«
Gedankenvoll saugte sie an ihren Lippen. Entkommen wäre so leicht. Ihre eigene Stärke reichte aus, um am Ersten Mann vorbei in das Große Eine zu gleiten. Soviel hatte er ihr gesagt. Sie könnte die Spirale tanzen. Und der Große Traum des Ersten Mannes wird sterben. Die Harmonie, die sein Traum der Welt gebracht hat, wird zu Ende gehen.
Sie rollte sich herum und sah in Stilles Wassers liebevolle Augen. »Nichts war je so schön. Ich sah die Seele der Welt. Ich sah auch deine Seele … sie leuchtete gelb und rot. Du bist ein guter Mann, Stilles Wasser.«
Er lächelte ihr zu und strich ihr übers Haar. »Und du bist eine gute Frau, Weiße Esche. Ich hätte das nicht geschafft, was dir gelungen ist. Wie Singende Steine wäre ich wahrscheinlich im Großen Einen geblieben.«
Sie drückte seine Hand an ihre Wange und versuchte, aus dieser Berührung neue Kraft zu schöpfen.
»Ich fühle mich, als ginge ich auf einem messerscharfen Grat entlang, auf jeder Seite gähnt ein tiefer Abgrund. Das Problem ist, ich möchte so schrecklich gerne fallen.«
»Das alles ist noch neu für dich. Dieses Gefühl wird vorübergehen. Je häufiger du träumst…«
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Nein. Du verstehst nicht. Es ist wie…« Sie schüttelte den Kopf. »Worte sind Illusion. Worte können das nicht erklären. Je häufiger man das Große Eine träumt, um so mächtiger wird es. Seine Schönheit entwickelt sich in der Seele, sie wächst und wächst, bis der Mensch und das Große Eine miteinander verschmelzen man erträgt es nicht, diese Schönheit zu verlassen, das wäre, als würde die eigene Seele auseinandergerissen. Wie kann ich eine solche Verzückung und Wonne genießen und bereitwillig in diese Welt mit all ihrem Leid zurückkehren?
Dieses Mal konfrontierte mich der Erste Mann mit meinen tiefsten Ängsten, um mich zurückzuholen.
Aber das nächste oder übernächste Mal?« Sie erschauerte. »Wolfsträumer weiß nicht, was er von mir verlangt.«
»Er hat Vertrauen in deine Stärke. Ich habe ebenfalls Vertrauen in deine Stärke.«
Sie hielt ihn fest umschlungen. »Ich wünschte, ich könnte dein Vertrauen in mich teilen. Ein winziger Fehler, und ich werde aufgesogen, bin unfähig, der Verlockung zu widerstehen.« Sie atmete stockend.
»Ich bin ja auch noch
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