Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
ihm allerdings bisher noch nichts eingefallen. Die Sträucher hatten seine Waden mit blutigen Kratzern verunstaltet.
Er richtete sich auf und verlagerte das Gewicht des aus Rinde geflochtenen Korbes, in dem er die restlichen der inzwischen geräucherten und getrockneten Fische trug. »Glaubst du, wir sind hier richtig?«
Sie schielte unsicher zu ihm hinüber. »Ich glaube schon. Ich meine… Ich weiß es nicht. Mir gefällt es nicht, nach Osten zu gehen. Dort ist das Wolfsvolk. Ich…« Sie schüttelte den Kopf und massierte mit den schlanken Fingern ihre Schläfen. »Es tut mir leid, daß ich dich gedrängt habe. Aber dieser schreckliche Traum, den ich gestern nacht an den heißen Quellen hatte, war so… so unheilverkündend.
Gefährlich. Wir mußten weg. Im Traum sah ich fremde Krieger kommen. Sie trugen blutbesudelte Speere und hinterließen auf ihrem Weg… Hunger und Leid und Erfrierungstod.«
»Das Sonnenvolk?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Sie hielten lange Steinmesser zur Sonne empor. Sie trugen Federn in allen Regenbogenfarben im Haar und auf den Schultern. Die Stimme im Traum sagte, wir müßten fort, nach Osten. Wir müßten irgendein Machtbündel suchen.«
Er kratzte sich am Kinn und umfaßte den Tragriemen seines Korbes fester. »Vielleicht bist du doch die Träumerin.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wenn das stimmt, wäre ich eine verfluchte, armselige Träumerin.«
Am Abend lagerten sie am Rande eines Wacholderhains. Kranker Bauch nutzte die letzten Tageslichtstunden und schälte Rinde von den Stämmen. Die langen Streifen rieb er anschließend zwischen Handfläche und Oberschenkel zu zähen, biegsamen Strängen und verflocht sie zu einem Umhang. Während er am munter prasselnden Feuer arbeitete, knabberte Weiße Esche am Rest eines Räucherfischs.
Er machte eine Pause und genoß den Anblick ihres vom Feuerschein beleuchteten Gesichtes. Ihre Verletzungen waren schon fast verheilt. Könnte er doch nur die Traurigkeit in ihren Augen in Fröhlichkeit verwandeln. Sobald sie sich in Gedanken verlor, spiegelten sich auf ihrem Gesicht noch immer Angst und Leid.
»Warum bist du bei mir geblieben?« fragte er sanft.
Sie nagte den letzten Rest des faserigen Fleisches von den Gräten, schnippte die Überbleibsel ins Feuer und säuberte ihre Hände am Leder ihrer Leggings. Abwehrend kreuzte sie die Arme vor der Brust, beugte sich vor und starrte ins Feuer.
»Ich glaube, weil ich einen Menschen wie dich brauchte. Versetz dich in meine Lage und stell dir vor, du würdest an einem Tag alles, was du liebst, verlieren. Mir ist keine Zufluchtsmöglichkeit mehr geblieben.«
»Du hast mir vom Dreigabelungenlager erzählt. Grünes Feuer würde dich jederzeit aufnehmen.«
Sie lächelte wehmütig. »Das ist nicht mehr meine Heimat, Kranker Bauch. Das Leben dort war mir schon als kleines Mädchen verhaßt. Die Leute vom Dreigabelungenlager stehen den Mächten mißtrauisch gegenüber. Menschen wie wir, die träumen und Stimmen hören, beunruhigen sie und sind in ihrem Kreis nicht erwünscht.«
»Aber sie müssen sich doch auch gut mit den Geistern stellen, sonst wächst das Gras nicht oder die Nußernte fällt dürftig aus. Dem Glauben des Erdvolkes zufolge sind die Geister für alles verantwortlich.«
»Sicher, auch Grünes Feuer verhandelt mit den Geistern, aber eher ungern und furchtsam«, erklärte sie.
»Sie will die Kontrolle über die Mächte, damit niemand diese gegen sie einsetzen kann. Deshalb kann ich auch nicht zurück. Ich kann meine Träume nicht geheimhalten.«
Sie starrte über das Feuer hinweg auf einen imaginären Punkt. »Aus diesem Grund bin ich mit dir gegangen. Ich weiß nicht, wo ich hin soll.« Sie zögerte. »Und allein bleiben wollte ich auch nicht, dann hätte ich keine Ablenkung. Weißt du, ich mag… ich mag mich selbst nicht mehr besonders. Ich bin nicht würdig…« Sie verstummte und wandte den Kopf ab.
Er nahm einen Zweig von dem zuvor gesammelten Holzhaufen und warf ihn in das Feuer. »Du solltest dich aber mögen. Du bist stark, gesund und vor allem klug. Was sollte dir nicht gelingen?«
Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. »Kann ich auch die Mutter des Volkes sein? Was immer das heißen soll. Ich fürchte, ich will damit nichts zu tun haben. Vielleicht ziehe ich mich zurück und lebe in einer Höhle wie die Heiler des Erdvolkes. Die Leute werden mich dann in Ruhe lassen, weil sie glauben, ich stünde mit einer Macht im Bunde.«
»Gar keine schlechte
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