0384 - Skylla, die Menschenschlange
Die Marquesa umgab sich stets mit jungen Leuten.
Einmal lud sie Reisegruppen auf ihr Schloß ein, ein anderes Mal sehnte sie sich nur nach einer Person. Für sie war es das höchste überhaupt, wenn sie einen jugendlichen Körper zu Gesicht bekam.
Wie ein Spanner hockte sie oft an dem kleinen Guckloch, um zuzuschauen, wenn eines der Mädchen badete.
Die Marquesa führte ein besonderes Leben. Die Menschen aus dem nahen Dorf wußten davon nichts. In ihren Augen war die Gräfin verschroben.
Niemand ahnte, was sie in Wirklichkeit vorhatte und welch eine Teufelin hinter der Maske der harmlosen, etwas versponnenen wirkenden alten Frau steckte. Einige Zeit hatte sie Ruhe gegeben. Der Winter war kühl gewesen. Sie hatte die langen Tage im Schloß bei ihrem Personal verbracht. Über das Frühjahr wollte sie auch den Mantel des Schweigens decken, aber der Sommer sollte besser werden.
Im Norden ja nicht, da regnete und schneite es in den Bergen.
Hier im Süden hatte die Sonne Kraft und erwärmte die Erde mit ihren Strahlen.
Als sie in den hohen Spiegel schaute und eine Goldkette umlegte, verzog sich ihr Gesicht zu einem breiten Lächeln. Sie rieb ihre trockenen Hände, denn sie hatte sich endlich dazu entschlossen, noch ein Mädchen zu holen. Dann waren es sechs.
Die richtige Zahl.
Bei diesem Gedanken verspürte sie den innerlichen Triumph.
Vielleicht bekam sie ihre Schönheit zurück. Versprochen hatte man es ihr. Was die Natur nicht schaffte, das mußten Kräfte der Magie übernehmen. Sie sollten dafür sorgen, daß das Alter überwunden werden konnte, leider mußten dafür Opfer gebracht werden, und die fielen selbst der Marquesa nicht leicht.
In den Hallen ihres Schlosses war es immer ein wenig kühl, aus diesem Grunde nahm sie die Stola und hängte sie sich um. Danach verließ sie ihr Ankleidezimmer.
Das Personal hatte sie weggeschickt. Bis auf einen tauben Diener war davon niemand mehr im Hause. Er mußte ihr zur Seite stehen und sie während des Essens bedienen.
Die hohe Tür knarrte, als die Marquesa sie aufzog. Sie trat hinaus in den langen Gang und spürte etwas von der Düsternis, die das Schloß in seinem Innern ausstrahlte.
Wer die Geschichte der Familie verfolgte, konnte darüber einen Horror-Roman schreiben. Es war furchtbar. Die Ahnherren der Marquesa hatten ebenso schlimm gewütet wie die Borghiaws. Nur waren die Frascettis nicht so bekannt geworden, da ihr Geschlecht stets eine zweite Geige im Machtkampf gespielt hatte.
Darunter litt die Marquesa, die letzte der Frascettis, heute noch.
Und sie wollte dafür sorgen, daß die alten Zeiten zurückkehrten, aber anders als früher und noch gefährlicher.
Die Wände des Ganges zeigten den Bilderschmuck einer Ahnengalerie. Zumeist finstere Typen schauten den Betrachter an.
Die Frauen sahen ebenso verschlagen aus wie die Männer. Manche von ihnen waren sogar noch schlimmer gewesen. Man hatte sie als Giftmischerinnen gekannt, und sie waren zu traurigen Berühmtheiten geworden.
Sie schritt über die alten Teppiche, durchquerte die seidigschimmernden Lichtinseln der Lampen und näherte sich dem Trakt, in dem sie die Gäste unterbrachte. Unter einem gebogenen Durchgang schritt sie her, erreichte eine Galerie, die tiefer in das Schloß hineinführte, und blieb vor einer alten Tür stehen, die zu einem Zimmer führte, in dem in der Vergangenheit eine grausame Geschichte ihren blutigen Lauf genommen hatte. In diesem Raum waren Menschen geköpft worden.
Heute diente er als Gästezimmer. Nun wollte die Marquesa das alte Grauen wieder auferstehen lassen.
Sie klopfte.
Es war nicht mehr als ein Alibiklopfen. Durch die Dicke des Holzes hätte es der Gast doch nicht vernommen. Schnell drückte die Marquesa die Klinke nach unten, um das Zimmer zu betreten. Sie huschte leise über die Schwelle, sah sich im Raum um und erkannte die Unordnung. Kleidungsstücke lagen auf dem breiten Prunkbett verteilt. Ein lappig wirkendes Hemd, eine schmutzige Jeanshose, Sachen, die die Marquesa nie getragen hätte.
Das Mädchen war nicht da, aber die Marquesa glaubte zu wissen, wo sie sich aufhielt. Sie wandte sich nach rechts. Draußen war es noch nicht dunkel, dennoch fiel kaum Tageslicht in den Raum, da die Vorhänge zugezogen waren, so daß die Marquesa weder die Scheiben noch das Meer sehen konnte, dessen Brandung unter dem auf den Klippen stehenden Schloß gegen die hohen Felsen donnerte.
Die zweite Tür des Zimmers führte ins Bad. Über die Lippen der alten Frau glitt
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