Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
ausgerechnet uns das? Was haben wir getan? Böses, hebe dich hinweg und verschwinde!
»Welcher Mann würde im Dickicht herumschleichen? Es muß ein Tier gewesen sein. Vielleicht ein Dachs oder ein Rotluchs«, pflichtete ihr Sternwurz bei. »Ein Mensch wäre ins Lager gekommen und hätte um Essen gebeten und uns Neuigkeiten erzählt.«
»Vielleicht ist Schilfrohr zurückgekommen«, meinte Korb.
»Er wäre ins Lager gekommen, um hier die Nacht zu verbringen«, unterbrach sie Eulenklee.
Offensichtlich fiel es ihr schwer, diese Worte herauszubringen. »Wolfsbeere, hast du an dem Tag, als Grünes Feuer starb, wirklich Spuren gesehen?«
Er nickte. »Sie waren unscharf. Die Größe der Abdrücke entsprach der eines Menschen. Es scheint, als hätte derjenige die Stellen gemieden, an denen die Erde oder der Schnee deutliche Spuren gezeigt hätten.«
»Wie ein Hexer«, flüsterte Korb tonlos. Die Geburt steht dicht bevor. Bitte, Schöpfer, laß nichts passieren. Ich könnte es nicht ertragen. Schon bei dem bloßen Gedanken daran schien ihre Seele krank zu werden.
»Wie ein Hexer«, pflichtete ihr Eulenklee bei. Mit heiserer Stimme fügte sie hinzu: »Im ersten Morgengrauen wirst du mit allen Männern jede Handbreit Boden absuchen. Wer immer es auch ist, bringt ihn zur Strecke. Falls es ein Hexer ist oder jemand, den wir verdächtigen, tötet ihn. Tötet ihn sofort. Ich will nicht die nächste sein.«
Entsetztes Schweigen breitete sich in der Hütte aus. Jemand, den sie verdächtigten? Schwarze Hand!
Die Stimmen in seinem Kopf wisperten wie rasend. Wach auf! Sag es ihnen! Sag ihnen, was du im Traum gesehen hast!
Stöhnend kehrte Tapferer Mann von seiner Suche nach dem grauen Dunst zurück. Er öffnete die Augen und blickte sich blinzelnd im Dämmerlicht des Zeltes um. Sonnenfedern hatte vor einiger Zeit nach ihm gesehen und ihm einen gräßlich schmeckenden Tee aus Weidenrinden zu trinken gegeben; ungeachtet des widerwärtigen Geschmacks linderte er die Schmerzen. Außerdem hatte ihm Sonnenfedern gegen die Infektion seines Knies einen Breiumschlag aus zermanschter Berberitze aufgelegt. Anfangs hatten sich durch den Umschlag die Schmerzen verstärkt, aber bald hatte sich Tapferer Mann besser gefühlt.
»Bleicher Rabe? Bist du da?«
Draußen vor dem Zelt bewegte sich etwas, dann hörte er ihre schläfrige Stimme. »Was ist? Mußt du wieder urinieren? Ich hole den Beutel und…«
»Nein. Es geht um meinen Traum. Ich muß sie aufhalten.«
Sie trat ein, setzte sich, schürte die Glut des Feuers und warf ein paar Pappeläste hinein. Im auflodernden Licht der Flammen kämmte sie ihre rabenschwarze Haarmähne mit schlanken Fingern zurück und betrachtete ihn abschätzend.
»Den Traum?«
Ja«, rief er. »Unsere Krieger brechen zu einem Überfall auf den Schwarzspitzen-Stamm am Fat Beaver River auf. Fliegender Falke führt den Trupp an.«
Sie spitzte die Lippen. »Stimmt. Das habe ich dir gestern abend erzählt.«
Er nickte und schluckte hart. »Sag ihnen, sie sollen nicht gehen, sonst gibt es eine Katastrophe. Die Macht meint es nicht gut mit ihnen. Man wird sie entdecken, sie laufen geradewegs in einen Hinterhalt. Einige Krieger werden sterben, andere verwundet werden. Sag ihnen, sie dürfen auf keinen Fall aufbrechen.«
Sie legte den Kopf schief und sah ihn mißtrauisch aus schmalen Augen an. »Wie du meinst.«
»Beeil dich.«
Sie zog ihr Kleid über, schlüpfte in ihre Mokassins und legte eine Decke um die Schultern. Rasch bückte sie sich unter der Tür durch und verschwand in der Dunkelheit.
Tapferer Mann atmete erschöpft aus und starrte in die Flammen, die um die armdicken Äste prasselten. Die Macht des Traumes ließ sein Herz heftig gegen seine Rippen hämmern.
Nach einer Weile näherten sich eilige Schritte. Fliegender Falke, bereits in das lange Kriegshemd des Sonnenvolkes gekleidet, trat gebückt durch die Tür. In der einen Hand hielt er seinen Beutel, in der anderen Speere und Atlatl. Der große, muskulöse Krieger musterte Tapferer Mann aus scharfen Augen. Seine vorspringende Adlernase war eingerahmt von hohlen Wangen, auf die rote Klauen tätowiert waren. Für den Kriegspfad hatte er sein Haar hochgekämmt und mit einer aus einem Schulterblatt geschnitzten Knochenspange zusammengefaßt. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln. »Was soll dieses Gerede?«
Hinter ihm schlüpfte Bleicher Rabe herein und setzte sich auf ihren Platz auf der anderen Seite des Zeltes.
Tapferer
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