Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
Vom Netzwerk:
kürzer gewesen waren als seine. Er nahm Anlauf und machte einen gewaltigen Satz, geriet jedoch auf der anderen Seite ins Stolpern und fiel auf die Knie. Staubwolken stoben auf.
    Fliegenfänger schimpfte leise vor sich hin.
    Flechte lachte. »Die war tief, was?«
    »Wen kümmert schon die Tiefe?« murrte er und rappelte sich wieder auf. »Die war so breit wie der Vater der Wasser.« Er wischte den Schmutz von seinen nackten Beinen und rückte energisch das blaue Stirnband zurecht, das seine schulterlangen schwarzen Haare bändigte, die ihm sonst dauernd in die Augen fallen würden. Die kleine Nase in seinem runden Gesicht schien ständig zu schnüffeln und zu zucken, denn Fliegenfänger liebte es, Dinge zu riechen - manche stanken nach Flechtes Ansicht allerdings ganz erheblich.
    Flechte sah Fliegenfänger auf sich zu traben. Ungeduldig drehte sie sich um und rannte weiter. Sie ließ das Maisfeld hinter sich und eilte zwischen Felsen hindurch den Hang hinunter. Der Pfad war im Laufe der Zeit in den Stein gewaschen worden, und Tausende von Füßen hatten ihn geglättet. Doch immer wieder durchzogen scharfe Steinzacken den Boden und schnitten schmerzhaft durch die Sohlen ihrer Mokassins. Flechte lief, so schnell sie konnte. Aber das Laufen war beschwerlich, denn Windmutter hatte reichlich Sand und Kies auf das Gestein geblasen. Sobald sie den nächsten Hügel erklommen hatte, wo der Regen den Pfad immer wieder sauberwusch, würde sie rascher vorankommen.
    Heftig atmend kam sie auf der Hügelkuppe an und blickte über das Land der Ersten Frau. Es breitete sich in vollkommener Schönheit vor ihr aus, unermeßlich groß und weit. Einst waren die Eisriesen durch das sumpfige Flußtal gezogen und hatten die Landschaft in merkwürdige Formen geschnitten. Im tief unter ihr liegenden fruchtbaren Schwemmland ergossen Dutzende von Bächen ihr Wasser in eine Handvoll verstreut heraufblinkender Teiche und Seen, an deren Ufern Frauen saßen und Wäsche wuschen. Weiter nördlich fällten Männer die an den felsigen Ufern wachsenden kümmerlichen Bäume. Die Stämme wurden für die Hügelbaustellen in der großen Stadt Cahokia gebraucht. Alle anderen Städte und Dörfer hatten bereits vor Flechtes Geburt längst damit aufgehört, Hügel zu errichten. Nur der Häuptling Große Sonne versuchte immer noch unermüdlich, Mutter Erde in die Höhe zu erheben, damit sie mit ihren Fingerspitzen Vater Sonne berühren konnte.
    Im Westen, hinter dem Vater der Wasser, reckten graubraune Klippen ihre stumpfen Felsnasen in den türkisblauen Himmel. Auf der höchsten Klippe lag das Dorf Pretty Mounds. Flechte hatte Verwandte beim Grashüpfer-Volk, die zur Maiszeremonie stets zum Morgenstern-Volk kamen. Flechte und Fliegenfänger liefen südwärts, wo eine blauschwarze Wolkenbank silbrige Regenfäden über zerfurchte Kalksteinspitzen wob.
    »Wie weit ist es noch?« keuchte Fliegenfänger.
    »Nicht mehr weit.« Sie zeigte auf die höchste Zacke der zerklüfteten Klippen, die wie ein langer Schnabel die nackten Felsen überragte. Auf einem Felsvorsprung weiter unten lag hinter dichtstehenden kahlen Eichen verborgen Wanderers Höhle. »Wanderer wohnt in einer Felsenhöhle hinter den Eichen dort drüben.«
    »Flechte?« Das Zögern in Fliegenfängers Stimme war unüberhörbar. »Meinst du wirklich, wir sollen ihn besuchen? Meine Mutter behauptet, er sei ein verrückter alter Hexer.«
    »Ich muß mit ihm reden, Fliegenfänger!« rief sie ihm über die Schulter zu und trabte unbeirrt weiter.
    »Er ist der einzige, der meine Träume versteht.«
    »Aber meine Mutter sagt, die Dorfältesten hätten ihn aus der Gemeinschaft verbannt, weil er die Seele eines Raben hat.«
    »Das stimmt«, antwortete sie unbekümmert. »Wenigstens im Augenblick. Er hat mir erklärt, seine Seele habe viele Gestalten gehabt, bevor sie die eines Raben angenommen hat. Er wird dir gefallen. Er erzählt tolle Geschichten.«
    Unvermittelt verklangen Fliegenfängers Schritte. Flechte blieb stehen und blickte zurück. Verlegen stand er am Fuße des Hügels, sein hellbrauner Lendenschurz flatterte im Wind, der über die Klippen fegte. Mürrisch verzog er das Gesicht.
    »Was ist los?« rief Flechte.
    Fliegenfänger warf ihr einen vielsagenden Blick zu, antwortete aber nicht.
    »Fliegenfänger! Er ist nicht verrückt, wie die Leute behaupten. Wanderer ist nur … anders, aber er ist nicht böse. Komm schon, du wirst sehen.« Sie winkte ihm, weiterzugehen, aber er verharrte wie angewurzelt

Weitere Kostenlose Bücher